Titel zu Stuer, Teils phantasierte Ortsgeschichte

Die teils phantasierte Dorfgeschichte von Stuer

Konservierte Fehleinschätzungen zu Stuer aus dem 19.Jh. wurden zu Stichwortgebern einer teils phantasierten Dorferzählung

Zusammenfassung

Die seit 180 Jahren angenommene Existenz einer slawischen Burg Stuer mit üblicher Vorburgsiedlung hat es im 12. Jahrhundert nicht gegeben, so dass angenommen werden kann, dass der Name des Ortes, spätestens um die Zeit der Ersterwähnung des Ortes 1289, vom Sturischen See abgeleitet wurde.

Conradus de Sture als namentlich erwähnter, gar in Stuer burggesessener (deutscher) Ritter ist in Mecklenburg auch familiär nicht weiter belegbar.

Die Lenzburg hatte 1387 bereits eine Flotowsche Burg als befestigten Vorgängerbau der landesherrlichen Anlage des 15. Jahrhunderts.

Das geschichtliche Selbstverständnis des Dorfes Stuer bezieht sich, die mittelalterlichen „Anfänge“ betreffend, auf eine Jahreszahl, 1178 und eine Person, Conradus de Sture (1240).
Diese beiden Angaben schweben seit 170 Jahren ohne begründende Quellengrundlagen im Raum.
Spätestens jetzt macht es die weitgehend mögliche Zugänglichkeit von Archiven und die digitale Auswertbarkeit von Quellentexten möglich, sich der vergangenem Wirklichkeit zu nähern. Auch dabei wird es, wie üblich, bei offenen Stellen bleiben.
Diese beiden Fixpunkte sollen hier nach Zusammenhängen oder parallelen begründenden Ereignissen befragt werden.

LISCHs Mutmaßung

Die Urkunde von 1178

Conradus de Sture

Schlußfolgerung

Quellen

LISCHS spontane Slawenburg-These

Der unermüdliche Friedrich LISCH hatte sich um 1850 in die Gegend von Stuer begeben. Die „Kunststraße“ (Chaussee, Bundesstraße198) Plau-Röbel an der Südspitze des Sturer Sees und der das Feuchtgebiet querende Damm waren gerade fertig. Er fand die Ruine der Wasserburg Stuer vor „in einer sehr weiten Wiesenfläche, welche einst Moor oder Wasser war“. Da wagte LISCH, der o.g. Urkunde aus dem Jahre 1178 (1) kannte, folgende Hypothese: „Dieser Burgwall, welcher im deutschen Mittelalter erhöhet und befestigt ward, ist sicher ein alter, heidnischer Burgwall, da schon im J. 1173 (sic!) der plauer See nach dem Orte Stuer der Stuersche See (Sturiche-ze) genannt ward.“(2)
1852 versuchte LISCH weitere Befestigungsreste um den Plauer See historisch einzuordnen. Dabei waren Quetzin (im Plauer See), Plau, Gaarz (südl. von Plau) und Zislow. Die Stuerer Burg nannte er inzwischen etwas vorsichtiger „wahrscheinlich eine alte wendische Burgstätte“.(3) Vermutlich hatte er erkannt, dass Quetzin, die „Kohlinsel“, inmitten des später so genannten Plauer Sees (in diesem Fall wohl vom slawischen plavit-flößen abgeleitet) gelegen, eine wichtige tatsächliche slawische Burganlage war- urkundlich erwähnt und archäologisch nachweisbar. Auf ihr hatte Heinrich der Löwe nach der Eroberung 1160, wie auch auf der Slawenburg Malchow, namentlich überlieferte sächsische Verwalter eingesetzt.

Abbildung: Diese Inselbefestigung (Quetzin) gab in einer Urkunde 1232 dem See ihren Namen.(4) Der See hatte damals einen um 1,5 bis 2 Meter niedrigeren Wasserstand als heute.(5)

Friedrich LISCH (1801-1883) war ein verdienstvoller und engagierter Geschichts- und Heimatforscher. Er zählt zu den mecklenburgischen Wissenschaftsautoritäten des 19. Jahrhunderts. Die „Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde“, erschienen seit 1836 in Schwerin, widerspiegeln LISCHs vielfältige Publikationsaktivitäten. Als Regierungsbibliothekar und erster Vereinssekretär lieferte er hierfür 400 größere Aufsätze. Damit und mit der Herausgabe der „Mecklenburgischen Urkundenbücher“ trug er einen beträchtlichen Datenfundus zusammen.

LISCH hatte sich in seinen Ein- und Zuordnungen angesichts einer unermesslichen und unübersichtlichen Faktenlage aber auch hin und wieder vertan. Seine Einschätzungen, öfter gerade in unsicheren Zusammenhängen mit „gewiß“, „sicher“ oder „ohne Zweifel“ eingeleitet, ließ er sogleich drucken und verbreiten und z.T. in den Fußnoten der Mecklenburgischen Urkundenbücher geradezu verewigen. Das plausible (mindestens) Zwei-Quellen-Prinzip für historische oder journalistische Darstellungen blieb dabei auf der Strecke. Manche Fehleinschätzung konnte er in Folgebänden der Jahrbücher selbst korrigieren, einige im Zusammenhang mit Stuer z.B. jedoch nicht.
Wissenschaft, auch historische, aber funktioniert nur, wenn erkannte Fakten und Thesen öfter gegengeprüft werden und z.B. nicht mit einer einzigen Quelle auskommen können. Unterbleibt dies, wird das Niveau einer Behauptung nicht verlassen. Dies war eigentlich auch LISCHs Anspruch, wie er im Vorwort von Band 11 der MUB schreibt, dass „mehr oder weniger sichere Vermuthungen  . . . , sich nur durch die Vergleichung unserer Urkunden und durch umfängliche Forschungen in anderen Urkundenwerken erkennen und berichtigen lassen . . „.   Wenn diese dann von ernstzunehmenden Nachfolgern aber wiederum ohne eine Gegenprüfung dieser unsicheren Fährte abgeschrieben oder als gegeben vorausgesetzt werden, kann sich ein Glaubenssatz in einer Endlosschleife verfestigen.
Trifft solcher Irrtum in der jeweiligen Gegenwart dann noch auf emotionale bzw. psychosoziale Faktoren, wie das Bedürfnis nach Anlehnung an allgemeine, wenn auch vergangene „Bedeutung“ („besonders“, „alt“ gleich ehrwürdig, „mächtig“- egal wodurch, jedenfalls „wichtig“ usw.), bleibt er im Dienste von abstrakter Größenphantasie in Stil kenntnisfreier und um so entschlossener Kurznachrichten zuverlässig als Legende haften.

Die Weiterverbreitung der These

LISCHs These aber wurde „ohne Zweifel“ übernommen von WIGGER (1860), der allerdings auch keinen Hinweis auf zeitgenössische Berichte aus dem 12. Jahrhundert finden konnte, die es zu slawischen Befestigungen ja bereits gab.(6)
So wurde es auch von SCHLIE (1902) in sein Standardwerk hinein geschrieben(7). Einzig der Burgenkundler PIPER (1887) meldet sachte Zweifel an, zitiert nur „LISCHs Ansicht“ und weist auf die vorgefundene rechteckige, also für Slawen untypische Anlage hin. Aus seiner Kenntnis hätten also in solchem Fall grundsätzliche Umbauten erfolgen müssen.(8)
So kommt es, dass diese flüchtige Annahme auch von Sprachwissenschaftlern übernommen wurde, die in dieser Konsequenz einzig nach slawischen Wortstämmen suchten.(9)

In der Begeisterung von einer möglichst frühen und deshalb bedeutungsgeladenen Ersterwähnung leitete die historische Ortsfolklore von Stuer aus diesem behaupteten Zusammenhang „Gründungsjubiläen“ ab, die bisher mindestens zwei mal gefeiert wurden:

 

 

 

 

 

 

 

Das Faltblatt von 2003 enthält dazu noch eine ganz und gar dorfeigene Erfindung, eine Erwähnung von Stuer im Jahre 1263.

Die so in eine Schleife geratene Festlegung auf slawische Vorgänger wurde auch vom Autor dieser Seite 1995 folgsam übernommen:

Auch im Faltblatt zur Kirche, von Stuer

Flyer zur Kirche in Stuer, Detail mit angenommenen Geschichtsdaten

auf Tafeln vor Ort, auf der Internetseite des Landkreises kurvt die Zahl 1178 im Zusammenhang mit Stuer unverdrossen. . . Sogar im „Archäologischen Park Freyenstein“ landete sie gar unter einer Abbildung der mittelalterlichen Burgruine Stuer.

Die Urkunde von 1178

In dieser, in Teilen gefälschten Urkunde (hier der kopierte Anfang), die LISCH irrtümlich auf 1173 vordatierte, wurden u.a. die Bistumsgrenzen beschrieben. Im Zusammenhang mit Widmungen an das Domkapitel Schwerin werden dabei erwähnt „als Gabe des ….Herzogs am Rande des Sturer Sees zwei . . . Dörfer“.

Eine Burg oder ein Dorf Stuer wurden hier, anders als behauptet, nicht erwähnt.
Die beiden genannten Dörfer wurden von LISCH, F.(10) und RUCHHÖFT, F.,(11) identifiziert : Biestorf (Bischofsdorf, Biscopesdorp) und Klebe.

Die Neubewertung

Bei der Überprüfung des Wirklichkeitsgehaltes von LISCHs Hypothese stellen sich folgende vier Fragen:

-Gab es oder ist inzwischen bekannt geworden, eine einzige urkundliche Erwähnung einer solchen Anlage, wie zumindest bei größeren landesweit durchaus nachweisbar? Nein.

Abbildung: Die bekannten mittelslawischen Burgen, die mit den civitatis des „Bayrischen Geographen“ identifiziert werden könnten.(12) Die Lage des späteren Ortes Stuer ist hier gelb gekennzeichnet.

-Gibt es großräumliche siedlungsgeografische Anzeichen für eine slawische Besiedlung mit einer Burg? Nein.

Auf dem Weg zur Missionierung der Pomeranen, die ihren Glauben noch hartnäckig verteidigten, passierte Otto von Bamberg diese Gegend. „Zwischen Havelberg und der Müritz passierte der bischöfliche Zug 1128 fünf Tage lang unendlich erscheinende, menschenleere Waldungen.“ (Biermann,F./ 34)

Abbildung: Die herrschaftlichen Traditionskerne der slawischen Kleinstämme (graues Raster) im archäologischen Fundbild.(13) Die Lage des späteren Ortes Stuer ist hier gelb gekennzeichnet.

-Gibt es Anzeichen der Bau- oder Massenkubatur der mittelalterlichen Anlage einer Doppelmotte, die auf eine slawische Vorgängerburg, die erhebliche Durchmesser erreichen konnten, hinweisen würden? Nein.

Abbildung:
Slawische Burganlage: Groß Raden Luftbild(14)

 

Abbildung: Baudetail einer slawischen Burg: Raddusch(15)

Slawische Burgen hatten in der Regel herrschaftlich-politische und militärische Zentralfunktionen und waren umgeben mit Vorburgsiedlungen. Der Um- und Ausbau einer slawischen Anlage (hier mit  290×190 Metern Durchmesser) zu einer mittelalterlichen Motte wird an folgendem Beispiel erkennbar, dem „Haus Demmin“ aus der Vogelperspektive:

"Haus Demmin",MA-Motte in slawischem Burgwall, Luftbild: F.Ruchhöft

Erkennbar ist der im 13. Jahrhundert randlich in den spätslawischen Burgwall eingebaute und mit einer Hügelanschüttung versehene Turm. Hier wurde eine beträchtliche Menge an Scherben, Tierknochen und andere Siedlungsabfälle gefunden.(16)

-Gibt es an der Burg oder im Dorf Stuer Funde als Hinweisgeber auf slawische Besiedlung, wie an solchen Orten, einschließlich vorgelagerter Ansiedlungen üblicherweise in großer Zahl? Nein. (siehe dazu Seite: Die Wasserburg Stuer, darin Ausgrabungen: Schoknecht/Weckwerth)

Zunächst ging auch der Archäologe SCHOKNECHT (17) davon aus, mit Ausgrabungen diesen slawischen Vorgängerbau nachzuweisen zu können. Dr. SCHOKNECHT schrieb inzwischen:
„Es ist immer gut, überlieferte Thesen neu zu durchdenken und in Frage zu stellen. Ich selbst bin ja auch der Autorität Lisch gefolgt, muß nun aber alles neu durchdenken.“(Brief an den Autor vom 20.9.2005)

Sollte 1178 eine Burg in der heutigen Gemarkung Stuer existiert haben, hätte es nur eine slawische Burg sein können, weil die politisch-militärische Eroberung Ostelbiens in dieser Gegend sich gerade erst dem Ende genähert hatte.

Die (bäuerliche) deutsche Ostsiedlungin: Der große Atlas der Weltgeschichte, Braunschweig, 1990, S.74
Die (bäuerliche) deutsche Ostsiedlung, STUER im roten Kreis (33)

Slavenfürst Pribislaw hatte sein Herrschaftsgebiet 1167 erst von Heinrich dem Löwen zu Lehen erhalten.
Einen solchen slawischen Vorgängerbau im heutigen Stuer Vorwerk nahm LISCH demzufolge also auch an. Aufgrund eines einfachen Analogieschlusses hatte er sich auf die eine Möglichkeit vorschnell festgelegt, dass nämlich der große See nach dem Ort Stuer benannt worden wäre. Die umgekehrte, ebenso übliche Variante, Ort nach dem See benannt, wurde nicht erwogen. Damit hatte er einen bedeutenden Ort phantasiert, der kurzzeitig dem gesamten See (dem heutigen Plauer See), in dem ja immerhin die schon erwähnte Slawenburg Quetzin lag, seinen Namen übertragen hätte.
Eine altslawische Höhenburg am Großen Pätschsee nahe Zislow war länger vorher nicht mehr genutzt worden.(18) Beim letzten Slavenaufstand 1163/64 waren auch die Burgen Quetzin und Malchow zurückerobert worden. „Das politische Zentrum des Landes Müritz wie auch des Burgbezirkes Malchow war aller Wahrscheinlichkeit nach, zumindest in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die Burg Malchow. Sie war der einzig umkämpfte Ort in der Gegend und auch die einzige vor 1180 erwähnte Burg.“(19)

Abbildung:
Die Burgbezirke (Kastellaneien) in der Mitte des 12. Jahrhunderts.(20)
Die Lage des späteren Ortes Stuer ist hier gelb gekennzeichnet.

Diese slawische Wallburg lag nach neueren Erkenntnissen nicht am Laschendorfer Standort, wie von LISCH vermutet, sondern als Burgstadt auf der Altstadtinsel(21). Bei der endgültigen Wiedereinnahme durch die Sachsen soll sich nach zeitgenössischen Quellen Heinrich der Löwe einige Tage in Malchow aufgehalten haben.(22)
Von einer „Burg Stuer“ ist auch bei all diesen überlieferten Ereignissen keine Rede.

Der Mittelalterarchäologe RUCHHÖFT schreibt: „ Eine slawische Burg in Stuer ist Phantasie und entspringt allein der Meinung, eine solche gewaltige Burg hatte einen slawischen Vorgänger. Dies trifft nur für die wenigsten Burgen zu und die waren stets landesherrlich. Man sollte nicht weiter darüber fabulieren, solange nicht eine einzige entsprechende Scherbe gefunden wurde.“(mail an d. Autor v. 10.5.2009)
“. . . dass die Burg Stuer keine slawische Burg ist. Der alte Lisch hat öfter solche vermutet, und diese sind bis heute als solche in Akten und Unterlagen zu finden, obwohl es mehr Hinweise dagegen als dafür gibt, aber kaum jemand wagt es, dieses auch deutlich zu formulieren.“ (mail an den Autor , Juni 2009)
„Dabei steht v.a. die Frage, ob die Gegend um Stuer im 12.Jh. besiedelt war. Bisher fehlen eindeutige Hinweise. Jedenfalls lag Stuer in einem Grenzgebiet, das möglicherweise erst spät erschlossen wurde. Die alten Siedlungskerne liegen bei Malchow und südwestlich der Müritz“ (mail, Juni 2009). Siehe auch Karte oben Nr.: (13)

Sowohl Dr.SCHOKNECHT als auch Dr.RUCHHÖFT sind jene ortskundigen Archäologen/ Historiker, die sich mit dieser Gegend beschäftigt haben und dabei landeskundliche Zusammenhänge einbeziehen.

Vergleicht man die älteren Aussagen zur Burg, fallen noch andere sich fortsetzende Falschangaben minderer Bedeutung auf. Sie betreffen z.B. die Maße.
LISCH schrieb von zehn Fuß (nach hier geltendem Lübecker Fußmaß 2,91m) dicken Mauern, PIPER von 2,3m, SCHLIE schrieb das davon ab. Nachmessen kann man noch heute: genau 2m!
Mit den anderen Maßen verhält es sich ähnlich.

Während LISCH früh die Bauzeit fast exakt beschreibt, verlegte PIPER sie in ein Jahrhundert früher, SCHLIE schloss sich dieser Fehleinschätzung wiederum an. (Wie auch zu den Maßen, siehe hier ebenfalls den Beitrag: Die Wasserburg Stuer)

Conradus de Sture

LISCH war es auch, der dem Ort Stuer aufgrund eines übereinstimmenden Namens den geistlichen Ritter Conradus de sture zuordnete. Dieser, im Bekehrungskrieg weiter östlich an der Weichsel übrig geblieben, bezeugte ein 80 km entfernt stattgefunden Grundstücksgeschäft seines ehemaligen Ordens im Jahr 1240 (23):

Mecklenburgisches Urkundenbuch Nr.511, 1240

Dieser Conradus oder auch Namensträger seiner Familie kommen in Mecklenburgischen Dokumenten kein zweites Mal vor.(24) So auch nicht im Gefolge der Herren von Werle.
Erwähnt ist er nur noch andernorts in zwei Urkunden im Jahr 1230, wo er als Mitglied seines Ordens mit anderen bezeugte, dass der Bischof von Preußen Land an den Deutschen Orden abtritt(25). Dort in Leslau (heute: Wloclawek) an der Weichsel, also rund 500 Km von Stuer entfernt, wurden die Brüder nur mit Vornamen genannt. „Erst bei der letzten bekannten Handlung des sich auflösenden Ordens, bei Verkauf des Dorfes Sellin östlich von Wismar 1240, tritt eine Reihe von Rittern mit vollem Namen als Zeugen auf.“(26) Sellin war der einzige bekannte Ordenssitz im Mutterland bzw. neukolonisierten niederdeutschen Raum. Auf diesen einzigen Auftritt, vollzogen in der Mecklenburg, aber bezog sich LISCH, weil sich Familienname und Flur- bzw. Seename (wohl zufällig) gleichen. Conradus hatte als überregional mobiler Gotteskrieger wahrscheinlich anderes vor, als sich an der Südspitze des Sturischen-/Plauer Sees auf einem Turmhügel „einzumotten“. Mithin dürfte er die Gegend um Stuer nie erreicht haben.
Man kann davon ausgehen, dass Conradus zu einer Familie gehörte, die im 13. Jh. im Raum Osnabrück und in der Grafschaft Oldenburg ansässig war oder in den Marschenlandschaften zu beiden Seiten der unteren Elbe. Auch käme das Kirchdorf Stuer nahe Bremen in Betracht, dessen Name sich ebenfalls von einem Gewässer ableitete. Die Familiennamen de store, de sture, de stura finden sich nicht in den Registern der Urkundenbücher von Mecklenburg, aber denen von Lübeck, Osnabrück, Oldenburg, Hamburg, Holstein.(27)
Somit dürfte auch diese Personenzuordnung von LISCH zu Stuer als irrelevant angesehen werden.
Zur siedlungsgeschichtlichen Alternative, siehe Seite über die Anfänge von Stuer.

Andere ältere Ungereimtheiten

LISCH vertat sich auch geo-physikalisch, indem er die südliche Grenze des Landes Malchow betreffend feststellte, es wird „angegeben das Dorf Darze, und namentlich ein Bach, der von dort durch Stur in den Plauer See fließt, und wo ein großer Graben und eine Landwehr gegen die Mark (mit einem Schlagbaum) befindlich ist.“(28) Dieser Bachverlauf dürfte, von Darze zunächst bergauf über die Endmoräne, physikalisch- topografisch jedoch nicht möglich gewesen sein.

LISCH schrieb auch, dass die Lenzburg, gelegen am nordöstlichen Zufluss der Elde in den Plauer See, erst im 15. Jh. vom Landesherren in Auftrag gegeben worden sei und keinen befestigten Vorläufer gehabt hätte. Er widerspricht sich allerdings auf derselben Seite: „Früher als im J. 1448 wird der Lenz nicht genannt. Jedoch war er schon früher bebauet, vielleicht auch befestigt, wenn auch nicht so stark.“(29) Gleichzeitig war er Herausgeber der Urkundenbücher, in denen schon 1387 eine Flotowsche Burg auch in Lenz (vielleicht nur aus Holz?), genannt wurde.(30) Dies wird auch bei den heutigen Betrachtungen zur Burg Lenz nie erwähnt.

Schlußfolgerung

Die Folge aus oben Dargelegtem wäre, dass Stuer der Ortsname spätestens um die Zeit der Ersterwähnung des Ortes 1289 vom Sturischen See übertragen bekam.
Dieser See ist zuerst seit 1295 als Plauer See(31) überliefert, wurde davor 1232 aber schon in einem Fall als See Cuzhin nach der in ihm gelegenen slawischen Befestigungsinsel bezeichnet.(4) Da Plau 1225/26 Stadtrechte bekam, kann man bei Datierungen von Siedlungsbeginn, Festlegung von Rechten und Pflichten eines Ortes und von urkundlich erhaltenen Namenübertragungen von Überschneidungen ausgehen.
Auch wird man uneinheitliche und interessengeleitete Flurbezeichnungen annehmen können. So nennen die von Flotows den Plauer See noch 1587 den „Sthurischen“(32). Womöglich war dabei aber auch nur der südliche Teil des Sees gemeint.

Wenn vorstehende Neubewertungen nicht widerlegt werden können, wäre es wirklichkeitsnäher für das Dorf Stuer, im Jahr 2028 nicht fiktive 850 Jahre Existenz zu begehen, sondern 2039 eine 750 jährige, die sich dann auf die gesicherte Ersterwähnung 1289 beziehen würde.

Quellen

(1) MUB 124
(2) Lisch,F., in: MJb 15 (1850), S.317
(3) Lisch,F., in: MJb 17 (1852), S. 8 u.a.

(4) MUB 398 und LISCH,F., MJb 10, 81845), S.38/39

(5) Bleile, R.,Vorbericht zu unterwasserarchäologischen Untersuchungen an einer slawischen Brückenanlage im Plauer See, in: Nachrichtenblatt AK Unterwasserarchäologie 5, 1999, S.32-35 /Bleile,R., Quetzin-Eine spätslawische Burg auf der Kohlinsel im Plauer See, Befunde und Funde zur Problematik slawischer Inselnutzungen in Mecklenburg-Vorpommern, in:
Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns, Band 48

Foto: Doese, J.

(6) Wigger, F., Mecklenburgische Annalen, 1860, S.126
und: Berno der erste Bischof von Schwerin und Mecklenburg, in: MJb 28 (1863), S. 215

(7) Schlie, F., Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Schwerin, Bd.5, 1902
(8) Piper, Otto, Die Burgruine Stuer in Mecklenburg, Eine archäologische Studie, Neubrandenburg, 1887

(9) Kühnel, P., Die slawischen Ortsnamen in Mecklenburg, in: MJb. 45(1881), S. 140
Trautmann, R., Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen, 1953/56, 40,57
Eichler, E./ Mühlner, W., Ortsnamen slawischer Herkunft im östlichen Mecklenburg, in: Mecklenburg Magazin 5/1997,S.10                                               Siehe hier auch Seite: Zum Ortsnamen des Dorfes Stuer

(10) Lisch, F., Das Land Kutsin oder Kutin, in: MJb10 (1845), S.39

(11) Ruchhöft, F., Klebe bei Plau- Ein Dorf aus der Dotation des Bistums Schwerin von 1171, in: MJb 116 (2000), S.19-23
(12) Ruchhöft, F., Vom Slawischen Stammesgebiete zur deutschen Vogtei, Rahden, 2008, Karte
und Unterschrift mit freundlicher Genehmigung, S.69
(13) Ruchhöft, F., wie (12), Karte S. 78

(14) Luftbild: Braasch, O., Groß Raden,
(15) Foto: Doese, J., Detail von rekonstruierter Burg Raddusch

(16) Foto: Ruchhöft, F., in: Biermann, F., Spätmittelalterliche Turm- und Burghügel in Mecklenburg-Vorpommern, in: Vergessenes Burgenland Schleswig-Holstein, Interdisziplinäre Tagung, Kiel 2013 und                                                                  Biermann, F., Bischof Otto von Bamberg in Pommern – die Missionsreisen und ihre Wirkung im archäologischen Bild, S.103,in: Bischof Otto von Bamberg in Pommern, Tagung 2014, Bonn 2017

(17) Schoknecht, U., Eine mittelalterliche Wegeführung mit Brückenresten an der Burgruine Stuer- Vorwerk, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jb 1990, S. 157-165

(18) Schoknecht,U., Der altslawische Burgwall von Zislow, in: Zislow, Ergebnisse Archäologischer Forschungen, Schwerin 1991, S.93-95).

(19) Ruchhöft, F., wie (12),Karte S.145
(20) Ruchhöft, F., wie (12) Karte S.121
(21) Schumacher,E. Die Ortserkundung und Frühgeschichte von Malchow, Malchow 2018, Heft 15, S.10-25)
(22) von Bosau, Helmold, Chronica Slavorum, Ausgabe 1894:
http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a004094.pdf
(23) Lisch, F., Der preußische Orden der Ritter von Dobrin, in: MJb 14,1849, S. 17,18
(24) erster Hinweis dazu kam von Dr. Ruchhöft, wer ihn erfolglos finden möchte, hier neuerdings eine Datenbank dazu:
https://adel-mecklenburgs.fandom.com/de/wiki/Adel_Mecklenburgs_Wikia

(25) Preußisches Urkundenbuch 1.1.73 und 74

(26) Quelle: Kuhn, W., Ritterorden als Grenzhüter des Abendlandes gegen östliches Heidentum, in: Ostdeutsche Wissenschaft, München 1959, S.27
(27) s.a.: Banninghoven, F., Der Orden der Schwertbrüder, Köln 1965, S. 467 und
Nowak, Z., Milites Christi de Prussia, Der Orden von Dobrin und seine Stellung in der preußischen Mission, in: Die Geistlichen Ritterorden Europas, Sigmaringen 1980,S. 339-352
(28) Lisch, F., Das Land Malchow und der fürstliche Besitz bei Malchow, in: Die Urgeschichte des Ortes Malchow, MJb 32 (1867), S.15
(29) Lisch, F., Die Burg auf dem Lenz und der Lenzkanal, in: MJb 17 (1852), S.11/12
(30) MUB 14711
(31) MUB 511 .
(32) SCHLIE, F., wie Anm.(7), S.446                                                                                    (33) Die (bäuerliche) deutsche Ostsiedlung, in: Der große Atlas der Weltgeschichte, Braunschweig, 1990, S.74                                                                          (34) Biermann, F., Otto von Bamberg missioniert Pommern