Zusammenfassung
Die erstmalige Erwähnung eines Pfarrers in Stuer im Jahr 1363 läßt auf das Vorhandensein eines Kirchengebäudes schließen.
Die heutige Altartafel der Kirche wurde um 1500, wahrscheinlich in einer Rostocker Werkstatt gefertigt.
Die spätgotischen Bildschnitzereien der Kreuzigungsgruppe, der Grablegung und die Tafelbilder der Flügel bilden die überlieferte Legende der letzten Stunden im Leben von Jesus Christus ab.
Die Tafelmalerei der beiden Flügel und der Predella waren verloren. Sie wurden deshalb im letzten Drittel des 17.Jahrhunderts im barocken Stil übermalt.
Die ebenso wohl weitgehend abhanden gekommenen Farbfassungen der plastischen Figuren in den zwei Reliefs wurden bei dieser Gelegenheit komplett bis zur Holzsichtigkeit abgenommen.
Diese Schnitzerei zeigt stilistische Verwandtschaft mit den Figuren im Schrein vom Hochaltar des Güstrower Doms.
Die Altartafel könnte bereits zu ihrer Entstehungszeit zusammengestellt und von Mitgliedern der Familie von Flotow für den Vorgängerbau der jetzigen Kirche angeschafft worden sein. Eine verewigte Stiftung deutet aber auch an, dass sie erst nach dem Dreißigjährigen Krieg in schlechtem Zustand erworben sein könnte. Restauriert und als zeitliche, stilistische und fragmentarische Montage wäre sie dann zunächst in der ehemaligen Feldsteinkirche in Stuer aufgestellt worden.
Abb.: Heilige Katharina von Alexandrien im Dom von Güstrow mit Farbfassung von 1868, montiert mit der Katharina in Stuer, deren Fassung 1688 abgenommen wurde
Hier soll der Frage nachgegangen werden, wie und mit welcher Kommunikationsstrategie es gelang, dass der Kult einer winzigen jüdischen Erlösungssekte, verwurzelt am Ostrand des Mittelmeeres, nach über Tausend Jahren in einem winzigen mecklenburgischen Dorf ankommen konnte. Dies ist keine abwegige Frage, weil die mit einigem Aufwand propagierten Legenden wesentlich die Phantasie und das Verhalten von Generationen auch in diesem Dorf beeinflussten und damit ihre Normen, Institutionen und Bauwerke.
Bei der Verbreitung und Vermittlung dieses Kultes spielten Bilder eine große Rolle. Deshalb soll hier auch auf einen bis heute andauernden Bilderstreit zwischen Verbot und Anbetung eingegangen werden.
Der Ort größter Bedeutung in einer christlichen Kirche ist, wie auch in anderen Religionen, der Altartisch, bestehend aus Block (stipes) und Steinplatte (mensa). Als „Tisch des Herrn“ dient er der kultischen Handlung des Abendmals, der Darbringung des rituellen Opfers und kann auch Aufbewahrungsort für eventuelle Reliquien sein. Er befindet sich in der Regel im Osten, dem Ort der aufgehenden Sonne und, im christlichen Verständnis, der „Auferstehung“.
Im ersten Jahrtausend waren Kirchen mit vielfältigen Wandbildern ausgestattet. Im 13. Jahrhundert, an der Schwelle zum gotischen Spätmittelalter (1200-1500), verbreitete sich vermehrt die Gattung der Altartafel (das Retabel, lat.: retro „hinter, rück-“ und tabula „(Bild)tafel“). Dieser Bildträger befindet sich an der rückwärtigen Seite des Altartisches. Er ist die Ableitung eines ursprünglichen Reliquienschreins, weshalb auch dessen Mittelkasten Schrein genannt wird. Auch wenn die Bezeichnung Altar umgangssprachlich auf den Aufsatz übergegangen ist, bleibt der Tisch der liturgische Mittelpunkt der Kirche.
Im ersten Teil werden die religiösen Inhalte dieser Tafel in Stuer beschrieben.
Am Anfang stehen die Autoren der Bibeltexte, gefolgt von den Ereignissen der Leidensgeschichte von Jesus Christus in zeitlicher Reihenfolge.
Im zweiten Teil wird der wechselnde Umgang mit religiösen Bildern erläutert
Im dritten Teil wird die zeitbedingte Umsetzung von mittelalterlichen Bildprogrammen dargestellt.
Im vierten Teil werden Antworten gesucht zur möglichen Herkunft der Stuerer Altartafel im Vergleich mit verwandten Darstellungen in Mecklenburg. Dazu wird die zwei Jahrhunderte spätere Veränderung besprochen.
Danach folgen Anhang und Quellen
1. Die religiöse Bilderzählung des Altaraufsatzes der Kirche von Stuer
Die Autoren und die Redaktion der Bibel
Die Altartafel in der Stuerer Kirche hat eine Alltagsposition, die heute von vorn in der Regel nicht zu sehen ist. Das sind die Rückseiten der Flügel, die zusammen ein Quadrat von 1,7x 1,7 m bilden. Hier sind vier Männer abgebildet, die „Evangelisten“. Die ihnen zugeschriebenen und uns überlieferten Aufzeichnungen bilden einen wichtigen Teil des „Neuen Testaments“ der Bibel. Ihre Sichten begründen die Bilderzählung dieser Altartafel. Sie hatten dem intellektuellen Teil der Oberschicht angehört.
Sie werden in zwei Fällen als Zeugen der Ereignisse, in den anderen als Propagandisten von Zeugen angenommen. Ihr Bildnis wurde in Anlehnung an frühere Darstellungsschemata 1700 Jahre später hier künstlerisch phantasiert.
Neben diesen namentlich erwähnten Religionslehrern wirkten an der Erstellung der Bibel vom neunten Jahrhundert vor Christus (bei dem hebräischen Tanach, dem Alten Testament) bis Mitte des 3. Jahrhunderts nach Christus (dem Neuen Testament) zahlreiche Erzähler, Autoren, Dramaturgen und Redakteure. Sie entstand in einem Prozess, in dem aufbauend auf frühere Mythen, viele Geschichten erzählt, niedergeschrieben, aussortiert und angepasst wurden. Es ist nicht verwunderlich, dass das interessengeleitet und im jeweils politisch bestimmten Raum geschah. Gleichwohl bedeutet testamentum (lat.), Verfügung, Ordnung, Bund Gottes mit den Menschen.
Voraussetzung für den Ausbreitungserfolg dieser Lehre war, dass Paulus, der als Saulus zunächst ein eifriger Christenverfolger war, durch eine göttliche Eingebung dessen effektivster Propagandist wurde. Im Erzählungsmuster einer Heldenwandlung wäre dies zwischen den Jahren 33 und 64 geschehen. Erfolgreich war er, weil er, gegen Widerstände von Mitstreitern, die kleine jüdische Sekte universalistisch weitete. Er führte sie heraus aus dem exklusiven jüdischen Stammeskult, einem Bund mit Gott, der sich im eigenen Verständnis erbbiologisch fortsetzt und eher nicht missioniert. Alle Menschen konnten fortan Christen werden. Dies war Voraussetzung für die spätere Eignung zum römischen Staatskult. Das Prinzip „Ein Kaiser, ein Staat, eine Religion“ sollte Vereinheitlichungen in einem multikulturellen römischen Vielvölkerstaat befördern.
Damit konnte das Christentum schließlich auch im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im 13. Jahrhundert in einem kleinen mecklenburgischen Dorf ankommen.
Nachdem sich um 380 das Christentum im Römischen Reich etablieren konnte, gab es neue politische Gründe verstreute religiöse Texte zu fördern und diese Bibelmanuskripte in einer verbindlichen Endredaktion festzuschreiben. So konservierte das Ökumenische Konzil von Nizäa (325) den Kanon der Texte bis heute. Die dabei enthaltenen, sicher nicht zufälligen, Paradoxien und Ungleichzeitigkeiten ließen Platz für anschließende wechselnde und anpassbare Auslegungen und setzten eine deutliche Sperre gegenüber rationalen Zugangmöglichkeiten.
Bei dieser Gelegenheit wurde auch das angenommene Geburtsdatum von Jesus Christus im Frühjahr, auf die Feier des römischen Sonnengottes Sol am 25. Dezember verlegt. Schon diese ging auf die seit Jahrtausenden gefeierte Wintersonnenwende zurück.
Der Tanach, die Erzählung des Judentums, entwickelte sich vor und parallel zur sich abspaltenden Strömung des Christentums. Das Grundbedürfnis für die alten Erzählungen war die (göttlich autoritäre) Regulierung der vielen Alltagsprobleme. Dann entstand eine Parellelität im Dialog, in Auseinandersetzung und Konkurrenz. Grundlage blieb das Alte Testament, in dem ein zu erwartender Befreier oder Erlöser (Messias, gr., Christus, der Gesalbte, hebr.,/ lat.= Retter) aus sozialer oder religiöser Unterdrückung und Fremdherrschaft bereits angekündigt wurde.
Den auf der Stuerer Tafel dargestellten Evangelisten wurden seit dem 6. Jahrhundert Symbole beigegeben, die aber gelegentlich auch eigenständig für diese stehen konnten. Darüber hinaus haben die Symbole auch noch die Bedeutung für vier Stationen im Leben von Jesus. Ursprünglich waren dies davor Metamorphosen aus der assyrisch-babylonischen Vorstellungswelt (siehe: Prophet Hesekiel,10/14).
Matthäus (links oben mit einem Engel/ Menschwerdung von Christus) ist hier mit einem Buch und einer Schreibfeder und wie stets mit einem Bart dargestellt . Er soll Jünger von Jesus Christus gewesen sein. Was eine glaubwürdigere Zeitzeugenschaft herstellen soll, ist jedoch aus zeitlichen Gründen umstritten, weil das Evangelium erst zwischen 80 und 90 erstellt worden ist.
Lukas (links unten mit einem Stier/ Opfertod von Christus) soll als Arzt ein Gehilfe vom Missionar Paulus in Jerusalem und Rom gewesen sein und liest hier in einem Buch.
Markus (rechts oben mit einem Löwen/ Auferstehung von Christus) schreibt hier wahrscheinlich den Bericht, den er nach Vorträgen von Petrus als erster (um 70) abgeliefert haben soll. Er wird auch als Gründungsbischof von Alexandria angenommen.
Johannes (rechts unten mit einem Adler/ Himmelfahrt von Christus) ist , den alten Festlegungen entsprechend, ohne Bart und mit Locken, hier lesend dargestellt.
Johannes wird das gleichnamige Evangelium im Neuen Testament zugeschrieben, nicht mehr aber die „Offenbarung“, dem letzten biblischen Buch. Er soll ebenfalls Jünger von Jesus Christus gewesen sein. Auch dies ist umstritten, weil es erst am Ende des ersten Jahrhunderts verfasst worden sein soll.
Als Apostel jedenfalls war er der jüngste und von Jesus bevorzugte in der Jüngergruppe. In der Bilderzählung dieser Altartafel erscheint er deshalb noch weitere vier Male als Apostel.
Einige Bibelforscher gehen davon aus, dass sich alle vier Evangelien auf ein um das Jahr 50 verfasste Ur-Evangelium stützen könnten.
Die letzten Stunden der Leidensgeschichte von Jesus Christus
Das Abendmal
Die heute sichtbaren Tafelbilder der Altartafel entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie beschreiben, in Vorbereitung der dargestellten Höhepunkte im Schrein, die letzten Stunden im Leben von Jesus Christus. Sie sollen hier in der zeitlichen Reihenfolge beschrieben werden. Diese Leidensgeschichte beschreibt wahrscheinlich die Zeit vom Abendmal am 5.4.30 bis zum Kreuztod am Kar-Freitag (althochdeutsch kara ‚Klage‘, ‚Kummer‘, ‚Trauer‘), dem 7.4.30 nachmittags.
Das Abendmal ist abgebildet auf den Außenflügeln der Predella.
Das ist der Sockel oder die Staffel zwischen Altartisch und der eigentlichen Altartafel. Zugeklappt, gewandelt, gehört sie zur Alltagsseite der Tafel.
Ein Hinweis aus Finnland (46) läßt vermuten, dass für die gewählte Komposition als Vorlage ein seitenverkehrter (!) Kupferstich von Matthäus Merian (der Ältere ,* 1593 in Basel-1650) gedient hatte.
Dargestellt ist hier das letzte gemeinsame Mal von Jesus mit seinen Jüngern. Vorher hatte er seinen Jüngern rituell die Füße gewaschen.
Dieses traditionelle Essen geschah in einer Nacht vor dem Beginn des jüdischen Pessahfestes. Jesus kündigte hier seinen bevorstehenden Tod an und erlegte seinen Jüngern die Verpflichtung auf, das Mal künftig zu seinem Gedächtnis zu halten.
Das Brot (später, in Abmilderung archaischer Opferkulte, in Gestalt von Hostien gereicht) bezeichnete er dabei, in übertragendem Sinn, als seinen Leib und den Wein als sein Blut. Er würde beides, wie er dabei voraus sagte, für die Menschheit hingeben. (Luk.22/15-20).
Auf der gemalten Darstellung ist Jesus Christus erkennbar, der den 12 Jüngern (Symbol: 12 jüdische Stämme) Anweisungen gibt und Voraussagen macht. Nahe bei ihm ist der junge Johannes, links vorne ist Petrus dargestellt.
Im Vordergrund, hier mit roten Haaren und gelbem Gewand, einer im Mittelalter verrufenen Farbe, ist Judas Ischarioth abgebildet. Er trug einen Geldbeutel, weil er der Kassenwart dieser bedürfnislosen Sekte war.
Bei diesem Essen soll Jesus angekündigt haben (Joh.13,21-30), dass einer seiner Jünger ihn „verraten“ würde. Auf Nachfrage wies er auf jenen Judas und wies diesen an, es bald zu tun.
Judas, in seinem Handeln vom allwissenden und allmächtigen Gott geführt, mußte daraufhin die Rolle eines Verräters spielen und dies auch noch für ein paar Silberlinge (Symbol: Geldbeutel). Ein Synonym für Verrat und Verführung war damit gesetzt und bei Schuldigensuche viefältig brauchbar.
Das und die nachfolgende, ebenfalls vorhergesagte, Tötung des Juden Christus, protegiert durch Juden, war Ausgangspunkt für den ewigen Antijudaismus der Christen. Sie sollten gekennzeichnet werden als Gottesmörder und somit zugleich als grenzenlos Mordlustige. Die Funktion des Antijudaismus war die Schärfung der Identität der sich vom jüdischen Ursprung abspaltenden christlichen Kirche. Hierbei schwankten Christen zeitweise immer wieder zwischen Judengebrauch, Judenhass und dem kompensatorischen Gegenstück, der Judenverehrung. Auch schon im Mittelalter gab es Höhepunkte mit solchen Geschäftsideen wie behaupteter „Hostienschändungen“ durch Juden. Deren anschließende Verbrennung (z.B. 1492 in Sternberg) konnte den Inspiratoren Auflösung von Schulden, Beschlagnahme von fremdem Eigentum und einträgliche Wallfahrtsstätten einbringen.
Mit der auch hier erzählten Version sollte ausgeschlossen werden, dass dieser Jünger Judas womöglich der gläubigste, vielleicht naivste Anhänger von Jesus war und dessen eifrigster Willensvollstrecker. Ihm war vielleicht ganz abwegig, dass sein Meister, im Unterschied zu vielen Propheten, die damals in Palästina ebenfalls den nahen Weltuntergang verkündeten, verletzbar sein würde.
Auch eine andere Verleugnung hatte Christus an dieser Tafel angekündigt, sogar eine dreifache, von Petrus, noch „ehe der Hahn kräht“. Obwohl der das aber nicht glauben wollte, mußte er es aber dennoch tun. In diesem Fall blieb das folgenlos, weil Jesus vorhatte, auf ihn, den „Fels“, seine Kirche zu bauen. Deshalb hatte er auch schon vorher seine Vergebung versprochen.
Die Vorderseite (Feiertagsseite) des Altaraufsatzes mit der Passion
Die Bilderzählung der Passion (lat. pati: Leiden) beginnt zeitlich auf dem linken Flügel unten mit der gemalten Szene im Garten Gethsemane. Auf diesen Ölberg war Jesus mit den Jüngern, ohne Judas, gezogen. Hier sonderte er sich mit Petrus, Johannes und Jacob ab und betete in Todesangst zu Gott. Seinen Vater bat er, dass dieser Kelch an ihm vorüber gehen möge. Seit dem späten Mittelalter wurde das durch einen Engel dargestellt, der ihm den Kelch reicht.
Die drei Jünger waren dabei mehrmals erschöpft eingeschlafen, trotz der Aufforderung von Jesus, zu wachen und zu beten.
Im Hintergrund stürmt die Gruppe der Häscher heran, die unfähig gewesen sein sollen, den stadtbekannten Prediger und Wundertäter zu erkennen. Angeführt wird sie vom Informanten Judas Ischarioth, der dort – simultan abgebildet- Jesus, wie verabredet, zwangshandelnd küsst. Dieser Judaskuss sollte den Gottessohn der operativen Einheit der Hohepriester ausliefern. Petrus schlägt mit seinem Schwert dem Knecht des Hohepriesters ein Ohr ab:
Die Flügeltafel rechts unten zeigt eine Art Verhandlung. Pilatus, der Statthalter der römischen Besatzungsmacht, will von hier vom Volk oder von Zeugen wissen, was Jesus Christus vorzuwerfen sei. Wer bei den hier Versammelten für welche Seite steht, ist nicht erkennbar. Weil Pilatus mit der Angelegenheit angeblich nichts zu tun haben wollte, soll er erwogen haben, ihn im Falle von Verurteilung zu begnadigen. Die abgebildeten Wutbürger aber forderten, so die drei Generationen später abgelieferte Erzählung, für Jesus Christus, den „Gotteslästerer“, die Todesstrafe.
Dabei entstand die Frage, ob dieser sich selbst als König der Juden, die ihn mehrheitlich als angekündigten Heilsbringer nicht anerkennen wollten, betrachten würde. Er bejahte diese Frage, allerdings mit dem Hinweis, dass es sich bei seinem Reich nicht um eines dieser Welt handeln würde. Anschließend verspotteten die Soldaten des Gouverneurs Jesus, quälten und folterten ihn. Sie flochten eine Dornenkrone für sein Haupt und warfen ihm einen Hermelinmantel um, als Zeichen seines „Königtums“.
Diese Verkleidung eines „Eintagskönigs“ geht auf archaische Rituale zurück, wonach in besonderen Notlagen ein König sich für sein Volk zu opfern hatte.
Später wurde ein Sklave, Krieger oder ohnehin Verurteilter „königlich“ eingekleidet, geprügelt, verspottet und zur Hinrichtung getrieben. Harmlose Reste von solcher Bräuche sind heute erhalten, wo Prinz Karneval als „Eintagskönig“ seine „Herrschaft“ ausübt.
Nachdem Pilatus abermals die Empörten befragte und dieselbe Antwort erhielt, begnadigte er einen bekannten militanten Aufständischen. Danach wusch er sich, einem älteren Brauch entsprechend, in einer Schüssel „die Hände in Unschuld“ und ließ Jesus zur weiterer Folterung und anschließender Kreuzigung abführen.
Diese Tendenz der Darstellung entsprach der Lage zur Zeit der Aufzeichnung. Das war die Zeit nach dem römisch-jüdischen Krieg, der vernichtend für die Juden geendet und die Zerstörung des Tempels ums Jahr 70 herum zur Folge hatte. In dieser Situation wurden die Römer von der Schuld an dieser Verurteilung frei gesprochen. Entsprechend wurde die Figur Pontius Pilatus neutralisiert. Der stand eigentlich im Ruf mit Aufständischen, messianischen Königen und verschwörerischen Propheten kurzen Prozess gemacht zu machen. Aus dieser Erzählung ergab sich, dass Schuld am Tode von Jesus die reiche prorömische jüdische Oberschicht und der Hohe Rat der Priesterkaste haben mußte. Man hatte inzwischen neben dieser Schuldfeststellung vor allem das Vorhaben der massenkompatiblen Ausbreitung des Christentums in der weiten römischen Welt im Blick.
Die seither zeitweise benötigte Frage, wer Schuld am Tode von Jesus gewesen sein soll, stellt infrage, dass diese Kreuzigung als die Vollendung des göttlichen Heilsplanes aus dem Alten Testament gelten sollte.
Die Flügeltafel links oben zeigt die Geißelung in einer Simultandarstellung: Im Hintergrund Soldaten und Juden, seit dem 13. Jahrhundert mit spitzen Hüten dargestellt, links oben Pilatus mit einem Hohepriester.
Auf der Flügeltafel rechts oben ist die Kreuztragung abgebildet. Auf dem Weg heraus aus der Stadt nach Golgatha (aram., Schädel, auch Kalvarienberg, lat., calva, Schädel) brach Jesus Christus unter der Last des Holzkreuzes zusammen. Deshalb wurde ein Mann verpflichtet, es bis auf Jerusalems Hinrichtungsstätte zu tragen. In diesem Zug einer größeren Volksmenge zum Kalvarienberg zogen auch Frauen die das Geschehen beweinten und die zwei Mitverurteilten.
Auch hier oben rechts zu Pferde Pilatus, auf den seine Frau einzureden versuchte, von diesem Gerechten doch noch seine Hände zu lassen. Sie hätte in diesem Zusammenhang einen beängstigenden Traum gehabt.
Nachdem Judas Ischarioth wahrnahm, dass die Angelegenheit so ausgehen würde, packte ihn entweder die Reue für seinen(?) Verrat oder das Eingeständnis des Irrtums seiner Anhängerschaft von Jesus Christus. Seines Gottes allmächtiges Eingreifen hatte er sich vielleicht anders vorgestellt. Er versuchte die Silberstücke den Priestern zurückzubringen und brachte sich um.
Im Mittelpunk der Altartafel, im „Schrein“, wird die Kreuzigung dargestellt. Eine im späten Mittelalter plastisch geschnitzte figurenreiche Gruppe zeigt hier den Höhepunkt des Opfertodes von Christus auf Golgatha.
Mit Nägeln war Jesus Christus ans Kreuz geschlagen worden, das aufgerichtet und beidseitig von den beiden anderen Verurteilten flankiert wurde.
Von Gott zugelassenes Leid gilt einerseits als Strafe und wird gleichzeitig als Prüfung oder als reinigender Befreiungsvorgang pathetisiert.
Anwesend bei dieser Szene, hier links, waren nach der Legende, seine Mutter Maria, Martha, deren Schwester, eine weitere Maria und Maria aus Magdala, eine enge Begleiterin von Jesus. Dem jungen Johannes, „den er lieb hatte“, (erkannbar: ein Beziehungsdrama) konnte er dort noch seine Mutter überantworten. Die anderen Jünger hatten sich offenbar versteckt.
Weil der schließlich eingetretene Tod von Jesus allerlei Erdbeben und andere seltsame Ereignisse ausgelöst hatte, sprach der Hauptmann der Schergen, hier rechts vorn: „Es ist wahr. Der war Gottes Sohn.“ Auf der anderen Seite im Hintergrund ist der Spießträger zu sehen, der prüfend dem toten Jesus in die Rippen stach. Diese Wunde war als wichtige Bezeugung des Todes aufgefasst worden, um jeden Scheintod ausschließen zu können. So konnte auch das übliche Knochenbrechen unterbleiben.
Jesus musste sterben, weil er, so Paulus, mit seinem Tod alle Sünden auf sich genommen und somit die Menschheit erlöst habe. Dieser pauschale Freispruch ohne Gottesgericht könnte als eine Nachbesserung der göttlichen Schöpfung Mensch verstanden werden. Denn der drohte seit seinem Sündenfall unmittelbar nach seiner Erschaffung, offenbar dem Teufel zu verfallen, einem außer Kontrolle geratenen oder aber entlastenden mächtigen Gegenspieler Gottes (grch.,“diabolo“,Verleumder, Verwirrer).
Die drei Leichen sollten nach diesem blutigen Freitag nicht bis zum Sabbath, dem Höhepunkt des mehrtägigen Pessahfestes, an den Kreuzen bleiben. Pilatus erteilte die Erlaubnis zur Kreuzabnahme. Jesus Christus wurde von zwei Männern geborgen, die heimliche Anhänger von ihm waren, von denen einer ein ihm bekanntes vorbereitetes Grab fand, in das sie ihn in der Weise, wie sie bei Juden üblich ist, bestatteten.
Jesus Christus wird hier als ein verletzlicher, hilfsbedürftiger, zu Vergebung und Versöhnung bereiter friedfertiger Mensch dargestellt, der von brutalen Kräften zu Tode gequält wurde. Zumal sein Kreuztod Beweis für die Wahrhaftigkeit seiner Botschaft vermittelte, konnten so Mitleid, Solidarität und Christusliebe ausgelöst werden. Die Bergpredigt von Jesus (Matth. 5,44) ist als höchster Ausdruck empfohlener Friedfertigkeit überliefert.
Gleichfalls, wieder als bewußte Paradoxie, schildern die Evangelien ihn im Endkampf gegen die dämonischen Mächte mit einer apokalyptischen Botschaft: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matth.10,34)
Dieser Widerspruch lässt sich aus der historischen Situation verstehen, in der Jesus mit einer kraftvollen Freund-Feind-Kennung ausgestattet gewesen sein soll. Er wähnte das Reich Gottes nicht nur nah, sondern im Ausbrechen und mußte so die Reihen der kleinen Gemeinschaft mit Nächstenliebe und Gewaltandrohung nach Innen schließen, um so nach außen das Böse, einschließlich der Heiden, bekämpfen zu können.
Wesentlich später dann konnte die Christenheit, auf der Seite der Mächtigen und von Mehrheiten, das Schwert dauerhaft ausgepackt lassen gegenüber Heiden, Juden, Ketzern und Hexen. Das konnte dann jeweils wieder anschließen an die archaischen Hass- und Rachetiraden des alttestamentarischen Hesekiel und die Vernichtungsphantasien eines offenbarenden Johannes am Ende des Neuen Testaments.
Nach dem Ausbleiben des ersehnten Reiches hatte sich herausgestellt, dass zwischen den beiden Polen, „liebende Vergebung“ und „Kampf dem Bösen“, je nach Lage und bei Bedarf nach wortwörtlichem Bezug, viele Möglichkeiten blieben. Das Geheimnis des Glaubens entstand in der Tradition magischer Praktiken. Seine Mysterien sind durch Logik und Wirklichkeitserfahrung nicht auflösbar.
Eine Grundbotschaft der Heiligen Schrift, die Verhalten der Menschen regulieren sollte, ist die Erwartung von Folgsamkeit. Brauchbar war das jedenfalls zur göttlichen Legitimation weltlicher Mächte, deren Eigentumsbegriffe und Gesetze geheiligt wurden. Das ging bis zum „GOTT MIT UNS“, das auf dem apokalyptischen Koppelschloss deutscher Soldaten im 20.Jahrhundert, das ebenfalls in Stuer gefunden werden konnte, ein anderes Kreuz umrundete. Das Bedürfnis nach autoritärem Geländer und Folgsamkeit aber ist grundsätzlicher, deshalb auch nicht an (christliche) Kirche gebunden. Der Führerkulte in Deutschland und der Sowjetunion, mit ihren nicht korrekturfähigen säkular-religiösen Gefolgschaften, prägten beide im 20. Jahrhundert nicht zuletzt auch das Dorf Stuer.
Christliche Fraktionen waren daneben immer auch mit Wohltätigkeit (caritas) und christlicher Nächstenliebe befasst. Wie nahe diese Nähe verstanden wurde, blieb der jeweiligen Auslegung überlassen.
Zumindest in unseren Breiten ist seit siebzig Jahren verstärkt Friedfertigkeit und Mitgefühl als christliche Botschaft wahrnehmbar.
Unter der Kreuzigung im Schrein ist in der Predella, bei aufgeklappten Flügeln, die vielfigurige Grablegung zu sehen.
Neben den beiden beschriebenen Männern sind hier Mutter Maria (aramäisch: Miriam), die den Arm des Toten hält und wieder Johannes abgebildet. Dazu Maria aus Magdala, der Sünderin, hier mit der Salbbüchse, der Jesus sieben Dämonen ausgetrieben hatte. Das Motiv des Betrauerns und der Beweinung steht dabei seit dem 10. Jahrhundert im Vordergrund. Mit der Vermehrung der beteiligten Personen, also von Zeugen, setzte man sich auch in diesem Relief über die Bibelerzählung hinweg.
In der Altartafel von Stuer endet hier die Bilderzählung. In größeren und dreifach wandelbaren Retabeln kann sie früher einsetzen, weiter gehen (Auferstehung, . . . Himmelfahrt) und differenziertere Zwischenstationen haben.
Auf die Innenseiten der Predellaflügel wurden um 1688 Liedtexte geschrieben, die sich auf den Tod von Jesus beziehen. Texte siehe Anhang (1)
Die Heiligen
Nachdem der weit verzweigte Götterkosmos der Antike und die Zwischenlösung des römischen (Gott-)Kaiserkults schwieriger wurde, wurde die Ausrichtung auf einen Gott angestrebt. Das Bedürfnis nach Kontakt zu Vermittlungsfiguren zur höchsten Instanz ließ aber nicht nach. Übernatürliches Personal, das arbeitsteilig die Rolle der Schamanen in den alten Religionen übernahm, wurde erwartet. Sie sollten ansprechbar sein für die irdischen Bedürfnisse nach Schutz vor Unheil. Zumal es zeitweise das Verbot gab, sich ein Bildnis zu machen, war die Angelegenheit offenbar zu abstrakt geworden.
Weil weiterer und speziellerer Verehrungs- und Beistandsbedarf aber bestand, konnten verdienstvolle, hauptsächlich verstorbene Christen nach einer Seligsprechung mit einer Heiligsprechung etabliert werden. Als ein gottgefälliges Leben galt ein Leben in auffälliger Askese und vor allem der Märtyrertod für den starken Glauben (Märtyrer, griech.: Zeuge).
Dieses Personal beiderlei Geschlechts wuchs mit der Zeit auf aktuell rund Siebentausend an. Engel halten sich als Zusatzpersonal bereit.
In der Stuerer Altartafel wird der Mittelschrein von vier Heiligen flankiert; Anna Selbdritt, Petrus, Antonius und Katharina von Alexandrien. Während der Existenz der hier abhanden gekommenen mittelalterlichen Bemalung und Vergoldung waren ihre Köpfe mit einem Heiligenschein (Nimbus oder Gloriole) umgeben.
Anna Selbdritt (links oben)
Anna, war die Mutter von Maria, der späteren Gottesmutter. Mit diesem Generationenbild wird das geliebte Kind in mütterlicher und großmütterlicher Fürsorge dargestellt. Ihre eigene Geburt war bereits durch Engel verkündet worden. In aus der Bibel aussortierten Texten (Apokryphen) wurde sie mit komplizierten Familienverhältnissen eingeführt .
Maria wiederum empfing das Jesuskind durch den Heiligen Geist und brachte es in der Unbefleckten Empfängnis zur Welt. Ziel der immer wiederholten Abbildung von Wundern in vielen Erzählungen war die Festschreibung von deren Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Der Annakult hatte im 15./16.Jahrhundert einen Höhepunkt, fortan war sie auch Schutzheilige des Bergbaus (>Annaberg).
Im 13. Jahrhundert verbreitete sich diese hybride Dreiergruppe der Generationen aus Anna, Maria und Jesus. In diesem Andachtsbild wird die mädchenhafte, schon gekrönte Gottesmutter von ihrer Mutter unterrichtet. In DEM Buch blättert der Kleine hier schon mal um. Die Marienkrönung sollte dann erst der erwachsene Jesus vollziehen. DAS Buch war hingegen noch über zweihundert Jahre in Arbeit.
Petrus (links unten)
Petrus hieß eigentlich Simon, war einer der ersten und bevorzugten Jünger von Jesus. Auf diesen Fels (Petrus) wollte Jesus Christus seine Kirche bauen und übergab ihm den Schlüssel zum Himmelreich (oft als Thema dargestellt: Schlüsselübergabe). Nachdem seine ihm angekündigte Verleugnung von Christus folgenlos blieb, durfte er sein Werk der Missionierung beginnen, wozu allerlei heilende und wundersame Wirkungen gehörten. Als Märtyrer soll er als erster Bischof der Untergrundkirche in Rom umgekommen sein. Im vierten Jahrhundert wurde als markantes Zeichen für seine Darstellung die Glatze mit Stirnlocke und gekräuseltem Bart erfunden.
Antonius der Eremit (rechts oben)
Antonius soll im 3. Jahrhundert nach Christus als Sohn begüterter christlicher Eltern geboren sein. Nachdem er seinen Besitz verschenkt hatte, zog er sich zwei Jahrzehnte als Einsiedler in die Wüste zurück. Weil er damit zahlreiche Nachfolger anregte, gilt er als Wegbereiter christlichen Mönchtums. In der Folge wurde im 11. Jahrhundert in Frankreich der Orden der Antoniter gegründet, der sich vorrangig der Krankenpflege widmete. Antonius wurde häufig mit einem Buch, einem T-förmigen Kreuz (das in der Stuerer Tafel abgebrochen ist) und einem Schwein abgebildet. Die Antoniter durften als Armenpfleger ihre Schweine frei herum laufen lassen. Er wurde als Patron für Krankheiten und praktischerweise auch für das Vieh angesehen.
Katharina von Alexandrien, als Beispiel für Heilige etwas ausführlicher
Katharina soll unter Kaiser Maxentius (278- 312 n. Chr.) den Märtyrertod erlitten haben. Sie war im 15. Jahrhundert als Schutzheilige sehr beliebt, geradezu ein Popstar. Nur auf wenigen Altartafeln, die zu dieser Zeit hier aufgestellt wurden, war sie nicht zu sehen.
Auch im Dom und in der Stadtkirche von Güstrow wird diese Heilige abgebildet. Dort hatte sich auch eine Katharinenbruderschaft aus Laien gegründet, die wohltätige Ziele und den prächtigen importierten Altaraufsatz der Stadtkirche gestiftet hatte.
Als in der alten Kirche von Grüssow 1847 der Altartisch umgebaut wurde, fand man eingemauert ein Fläschchen mit (angeblichen) Reliquien der Katharina. Es wurde anschließend wieder dorthin zurück getan.
Reliquien sind behauptete körperliche Überreste heilig gesprochener Menschen oder Gegenstände, die mit ihnen in Berührung gekommen sein sollen. Sie wurden zerteilt und weiträumig gehandelt. Die Grundlage dafür war der Glaube, man könne durch verehrende Anschauung oder gar Berührung an der Macht teilhaben, die den Heiligen zugeschriebenen wurde. Dies war auch ein Geschäftszweig des Pilgertourismus und konnte gleichzeitig die Begründung für ein Kriegsziel sein. Vorläufer solcher solcher Praktiken sind erkennbar in den Ahnenkulten urgeselschaftlicher Gemeinschaften.
Katharinas Geschichte wurde erst 700 Jahre nach ihrer Lebenszeit, im 10. Jahrhundert, u.a. als Schutzpatronin von Gelehrten und Universitäten richtig populär. Danach war dieser gebildeten Königstochter aus Zypern im Traum das Jesuskind erschienen, das ihr darin einen Verlobungsring ansteckte.
Abb.: Detail aus dem Lukasaltar Hamburg: Verlobung von Katharina mit Jesus (2)
Mit dieser Vision blieb sie nicht allein. jahrhundertelang verstanden sich Frauen, in und außerhalb von Klöstern, als Bräute Jesu.
Nachdem es dieser Katharina gelungen war, fünfzig Philosophen zum Christentum zu bekehren, entfachte das den Zorn des genannten Kaisers so, dass er die Männer verbrennen ließ und Katharina zu foltern befahl. Ein für ihr Martyrium mit Messern und Nägeln bestücktes Rad wurde aber durch Blitz und Donner im richtigen Moment zerstört und der Folterer getötet. Es gelang dann der weltlichen Macht aber doch, sie kurzerhand mit dem Schwert zu köpfen, worauf Engel ihren Leichnam zum Berg Sinai beförderten, wo noch heute ein ihr geweihtes Kloster existiert.
Seit dem 14. Jahrhundert wurde sie deshalb mit einem Schwert und Teilen eines Folterrades dargestellt.(3) Mancherorts wurde unter ihren Füßen der befehlshabende Kaiser positioniert, wie 1522 von van Orley auf dem Altarflügel der Pfarrkirche in Güstrow.
Güstrow, Pfarrkirche, Tafeln: Martyrium/ Siegerin (4)
Maxentius, hier unter den Füßen von Katharina, war im Oktober 1312 als Kaiserkonkurrent in der Schlacht an der Milvischen Brücke vor Rom umgekommen. Dieses Datum markiert den Anfang des Christentums als Staatsreligion im heidnischen Imperium unter dem siegreiche Konstantin.
Wie die Menschen in Stuer oder anderswo, Katharina und die mit ihr verbundene Abwesenheitserfahrung von Gott wahrnahmen, wissen wir nicht: als Göttin, als angebetete Männerphantasie, als Glücksbringer aus der prominenten Reihe der Vierzehn Nothelfer, als angesagte Populärdiva, als gebildete(!) Frau oder sadistisch-lüstern, als schönes Folteropfer. Projektionsfläche jedenfalls bot die verbreitete Geschichte reichlich. Katharina auf Altartafeln in Kratzeburg und Güstrow:
2. Bildwerke zwischen Verehrung, Verbot und Umdeutung
Die starke Wirkung von verhältnismäßig großen Bildern auf Menschen in einer bilderfreien Zeit und in einer Welt, deren Gestalt als Scheibe angenommen wurde, können wir heute kaum ermessen. Die Verkörperung durch Skulpturen, also die Abbildung in drei Dimensionen, wurde dabei im Mittelalter als eine noch stärkere Realität wahrgenommen, als die Darstellungen auf Tafelbildern.(5) Die farbigen, oft sehr realistisch und in der Bekleidungskultur der gerade aktuellen Zeit abgebildeten Figuren, waren oft vor einem Hintergrund aus purem Gold dargestellt. Tanzendes Licht aus vielen Kerzen oder durch farbige Glasfenster gestreutes Sonnenlicht brach sich an den Kanten faltenreicher Gewänder, funkelte im blattgoldenen Hintergrund und reflektierte fast unwirklich, wie ein Wunder in einem himmlischem Licht. Lange Zeit des Jahres verhüllte Szenen lebten dann geradezu und verdeutlichten, der angebetete Gott ist gegenwärtig, die verehrten Heiligen sind anwesend. In großen Kirchen wurden Feiertage mit allerlei sinnlichen Attraktionen und theatralischen Momenten begangen. Lebende Bilder konnten Bestandteil der Festtagsliturgie sein. Am Höhepunkt einer Prozession mit Fahnen, Schildern, einem Esel auf Rädern und Reliquien, konnte eine Christus- oder eine Marienfigur unter Posaunenklängen an Seilen durch eine Öffnung im Kirchendach emporgezogen werden.(6) War es vorgesehen, die Christusfigur am Ende in ein Grab zu legen, war das plastische Bildnis mit schwenkbaren Armen ausgestattet.(7)
Die Inszenierung und Abbildung von Wundern war für die Glaubwürdigkeit der Lehre in der mittelalterlichen Mystik von existenzieller Bedeutung.
Das muß für die Gläubigen, noch immer in Erwartung einer biblischen Endzeit mit der Folge des Jüngsten Gerichts, eine starke emotionale und hoffnungsvolle Wucht gehabt haben. Auch nach zeitweisem Abebben der großen Pest starben immer wieder Menschen eines unerklärlichen Todes und konnten wie aus dem Nichts Horden Bewaffneter kommen, um zu plündern, zu brandschatzen und zu morden.
Aber gerade diese, viele Menschen beeindruckende Wirkung von Bildwerken, war ein immer wiederkehrendes Problem in den abrahamitischen Religionen. Auch im Göttergeflecht der Antike und in den Naturreligionen mit ihren Ahnen- und Geisterkulten neigten die Menschen dazu, Idole und Abbilder zu verehren, in ihrer Nähe zu sein und sie auf verschiedene Weise zu vereinnahmen. Das unverwüstliche Bedürfnis, Neben-, Unter- und Spezialgötter zu haben, die mit der eigenen besonderen Wirklichkeit der Gläubigen und ihren Nöten und Erwartungen direkter zu tun haben könnten, ließ die Menschen erfinderisch sein.
Gegen das menschliche Bedürfnis nach Idol- und Fetischkult wirken sollte das dem ersten Gebot, ich bin der Herr dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir, ursprünglich folgende zweite, du sollst dir kein Bildnis machen. Genauer heißt es im 2.Buch Mose, 20,4 und 5:
„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,…“
Wie die jüdische Religion lehnte auch das Urchristentum religiöse Bildnisse, gar die von Gott ab.
Nachdem das Christentum sich aber als Staatsreligion durchgesetzt hatte, breiteten sich der Bedarf nach christlichen Motiven zügig aus.
Früheste bekannte überlieferte Kreuzigungsdarstellung, Elfenbein (8):
Die menschliche Gestalt von Christus bot sich vorerst an, weil er einerseits in Menschengestalt abbildbar und andererseits als Gott anbetbar war. Die Wesensgleichheit von Gott und Jesus Christus, daneben auch, paradox dialektisch, gleichzeitig ihre Eigenständigkeit, hatten die Dogmatiker im Glaubensbekenntnis von Nicäa um 325 festgeschrieben. Der „Heilige Geist“ kam als drittes Subjekt später hinzu. Somit wurde ein Gekreuzigter, als Zeichen auch das römische Marterinstrument des leeren Kreuzes, zum Symbol für die ganze Bewegung.
Im Jahr 730 erklärte Kaiser Leo III. dann aber den Gebrauch von Bildern und ihre Verehrung für strafbar. Die Folge war ein Bildersturm. Nachdem man sich schließlich einigte, dass nicht das Bild von Christus, sondern der Abgebildete verehrungswürdig sei, erfolgte nach einem Zwischenschritt 787, dann 843 wieder die Erlaubnis, Bilder zuzulassen. Sie sollten damit neben der Heiligen Schrift als zusätzliche Belehrung der Gläubigen verstanden werden, nicht jedoch als Objekt von Anbetung. (43)
Das Hin- und Her erfolgte über die Zeit in verschieden radikaler Weise innerhalb der Religionen und zwischen ihnen, auch als Merkmal von Abgrenzung.
Im 14./15. Jahrhundert beispielsweise konnte Gott, prominent ins Bild gestellt, als Handelnder zeitweise wieder (unangefochten?) dargestellt werden.
Abb.: Die Erschaffung Evas, 1388, Kunsthalle Hamburg: „Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, . . . „ (Mose 1/26) Gott spricht hier im Pluralis Majestatis der hebräischen Vorlage, wo „Gott“ (Elohim) stets in der Pluralform verwendet wird. Reste von dieser Form stecken noch in unserer heutigen, aus dem feudalen Sprachgebrauch übernommenen Anrede: Sie. (9)
Gott, der Leichnam Jesus fehlt, 15. Jahrhundert, Kulturhistorisches Museum Rostock, sog. „Gnadenstuhl“
Im Christentum, inzwischen in Ost- und Westkirche gespalten, konnte sich eine weitreichende Heiligenverehrung entwickeln.
Am ehesten traf das auf Maria zu, die Jungfräuliche, die Madonna. Seit dem Konzil von Ephesus um 431, galt sie als Gottesmutter und als von ihrem Sohn Gekrönte. Nicht nur die Volksfrömmigkeit, stets durchdrungen von animistischen Wundererwartungen, Geister- und Zauberglauben, auch die Theologen und die Reformorden (Zisterzieneser u. Prämonstratenser) stellten sich unter ihren Schutz und weihten ihr zahlreiche Kirchen und Kathedralen. Anders als heute, wo vom „Lieben Gott“ ausgegangen wird, dachte man einen patriarchalisch strengen, strafenden und eifersüchtigen Gott. Maria wurde dagegen als ausgleichend, verständnisvoll und mütterlich angenommen. Um 1500 war sie die am meisten abgebildete Heiligenfigur, gefolgt von Katharina. Anders als die vielen Spezialheiligen, konnte Maria für Alles in Anspruch genommen werden, zumal zu erwarten war, dass sie sich in weiblichen Angelegenheiten auskennen würde.
Als Beispiel für sehr viele, seien die beiden Schnitzaltäre der Röbeler Marienkirche genannt, in deren Zentren jeweils eine Strahlenkranzmadonna steht.(10)
Spezialfall Reformation
Im 16. Jahrhundert führte die Reformation, auch gefördert durch weltliche Geschäfts- und Gewinninteressen, zur weiteren Spaltung in römisch-katholische und protestantisch-lutherische Christen.
Mecklenburg wurde 1520 gerade von zwei geschwisterlichen Herzögen, Heinrich V. und Albrecht VII. regiert. Die Territorien lagen in einer Gemengelage, es gab außerdem ein Gemeinschaftsteil. Weil beide verschiedenen Konfessionen zuneigten, war Mecklenburg 1534 im Gemeinschaftsteil offiziell ein bikonfessioneller Reichsstand geworden, der einzige in Deutschland.
„Mit dem Problem der Bilder beschäftigten sich herzogliche Anweisungen konkret erst 1552. Die Kirchenordnung erklärte die Heiligenverehrung für eine „abgöttische heidnische gewonheit“ verlangte aber, dass die Geschichte der Heiligen in den Predigten durchaus herangezogen werden solle, zum Zeichen, wie und wann sich Gott Menschen offenbart habe, und zur Stärkung des eigenen Glaubens durch das Zeugnis der Heiligen.“ Es gab in der Folge Überprüfungen mit der Forderung, dass die „schendlichen und ergerlichen bilder“… „alsbald hinweg gethaen, zerbrochen und verbrennet“ werden (mecklenburgische Visitationsordnung v.1552).(11)
Luther lehnte bestimmte Bildinhalte ab, „da sie gegen das erste Gebot verstießen. Dazu gehörten Bilder, die den Menschen verführen, bei Maria und den Heiligen statt bei Gott Hilfe zu suchen.“ (12) Dazu zählte er auch die damals gerade sehr populäre Katharina. Andererseits warb er gegenüber den Bilderstürmern für einen „ungefärlichen“ und damit erlaubten Gebrauch von Bildern, mit denen Gottes Werk und Wort vor Augen geführt werden solle, als eine Art Bilderbibel für Laien. Das führte dann zum Kompromiss, nämlich Nichtnutzung, Weiternutzung oder Umnutzung. Damit verband sich im lutherischen Protestantismus allerdings der Wunsch nach „edler Einfalt und erhrwürdiger Enfachheit“ (13). Alles, die Andacht störende, sollte reduziert werden.
In der langen Ereigniskette Bildervermeidung, -anbetung, -stürmerei oder Bilderreduzierung, ist die Reformation, jedenfalls im deutschen Norden und Nordosten, eher unter deren Reduzierung einzuordnen. So kam es auch, dass fast alles, was in Museen oder Kirchen an spätgotischer Malerei heute noch vorhanden ist, in verschiedener Weise Fragment ist, manches auch auf naiv-brutale Weise restauriert.
Eine Folge dieser Haltung könnte der Umgang mit der Altartafel in Stuer noch im 17. Jahrhundert sein. Wieder war das Christentum flexibel: selbst Katharina blieb wo sie war, allerdings ohne ihre einst prächtige Farbfassung. Die figurenreichen Kreuzigungs- und Grablegungsszene konnte inhaltlich keine Probleme bereitet haben.
In Stuer hatten die Flotows sehr früh, 1524, einen lutherischen Geistlichen als Hauslehrer für die eigenen Kinder und als Prediger eingestellt. Weil aber das „gemeine Volk die Sacramente nicht gerne anders als von Gesalbten empfing,“ was heißt, als dem Papst loyalen Altgläubigen, mußte Cyriacus von Bernburg mindestens acht Jahre lang einen gesalbten Capellan „um der Schwachheit des Volkes willen neben sich halten müssen.“ (14) Wenn das so war, hatte die erwartete Aufgabe immerfort wiederholter und deshalb vertrauter Rituale die Identität der Untertanen bedroht.
Die Zeit nach der Reformation und der Kirchenspaltung führte in der folgenden Zeit dann in deutschen Landen zu einem, bis heute wahrnehmbaren, ganz unerwarteten Ergebnis. „Es ist schon paradox, daß sich liturgische Gegenstände des Mittelalters, darunter Kunstwerke höchsten Ranges, nicht etwa in katholisch gebliebenen Kirchen erhalten haben, sondern viel mehr fast ausschließlich nur noch in lutherisch gewordenen Gotteshäusern ein eindrucksvolles Bild spätmittelalterlicher Frömmigkeit vermitteln.“ (15)
Schauen wir heute den Altaraufsatz mit gleicher Aufmerksamkeit an?
Kann in der Gegenwart ein weitgehender Verschleiß von Bildwirksamkeit durch Bilderflut festgestellt werden? Zum Teil vielleicht, aber Bilderstreit heute?
Die soeben gemeldete Verhüllung christlicher Bildwerke in der Hagia Sophia in Istanbul deutet darauf hin. Ebenso wie die mit religiöser Inbrunst inszenierte blutige Reaktion subalterner Krimineller auf läppische Propheten-Bildchen. Doch diese funktionieren nur dank der medialen Hebelung durch unsere Bild-Medien. Mit dieser Hilfe werden punktuelle Attacken zum Bühnendonner eines Flächenangriffs. Hinter denen stehen Phantasien eines homogenen Gottesstaats. Dessen wesentlich auch weltlich verstandener Charakter wird von den Akteuren nicht verleugnet.
Neben dem traurigen Übel ermöglicht uns dies Einblicke in das eigene, nicht ferne, „christlich-abendländische“ Weltverständnis.
3. Bildprogramme, ihre Umsetzung und Auftraggeber
Seit den Anfängen der christlichen Kunst bildeten sich verbindliche Vorschriften für Bilder, Szenen, Figuren und Symbole. Bildprogramme regelten durch vorbildhafte Vorlagen in der Buchmalerei, später auch Druckgrafik, die Ikonographie dieser Bildwerke in Tafelmalerei, figürlichen Darstellungen und auf Gegenständen. So konnten die theologischen Dogmen, die nur schriftkundigen Geistlichen zugänglich waren, in bildliche Darstellungen umgesetzt und damit den Laien anschaulich gemacht werden. Lange Zeit geschah das über byzantinisch beeinflußte Wandbilder und mit Bibelillustrationen, die allerdings sehr eingeschränkt zugänglich waren.
Frühe Abbildung der Evangelisten, 8. Jh.(16)
Als im 13. Jahrhundert die Gattung der Altartafeln entstanden, konnten die etablierten Vorbilder auf deren Bildtafeln übertragen werden.
Flügelaltäre
Einzelne der ältesten Alaraufsätze datieren schon ins 12.Jahrhundert. Zur Weiterentwicklung des Bild-, Bildungs- und Erlebnisprogramms für die Gläubigen entstand im 14. Jahrhundert der Typus des Flügelaltars. Der älteste, uns bekannte, soll der Hochaltar im Doberaner Münster sein (um 1310). Durch ein bis zweifache Wandlungen war es damit möglich, mit „handelnden Bildern“ die dargestellten Stationen zu erweitern. Dies konnte mit zwei beweglichen Flügeln neben dem feststehenden Mittelteil geschehen, wie in Stuer. Zwei Wandlungen waren mit mehr beweglichen Flügeln möglich, wie in Güstrow oder beim frühen Petrialtar in Hamburg. Hier konnte mit einem komplexen Bildprogramm z.B. die Schöpfungserzählung einbezogen werden. Wo es räumlich möglich und liturgisch erwünscht war, konnte das Wandeln auch bedeuten, die wirkliche Umrundung des Altars, dieses Gesamtkunstwerkes aus Schnitzerei, Architekturteilen (Maß-, Schleier- und Blattwerk) und Tafelmalerei.(17)
Aus der absoluten Größe des Objektes ließ sich ableiten, wieviel Ebenen oder Figurennischen sich darauf unterbringen ließen.
In der einfachen Variante wurde im deutschen Norden der Mittelteil als „Schrein“ mit geschnitzten ganz oder teilweise bemalten und vergoldeten Figuren gestaltet. Dabei sind die Flügel meist beidseitig mit Tafelmalerei versehen. Zwischen Altartisch und Schrein wurde als Verbindungsteil die Predella angeordnet, was das Schwenken der Flügel ermöglichte. Sie wurde meist mit Tafelmalerei versehen, seltener mit Schnitzwerk, wie in Stuer.
Mit der Schwenkbarkeit der Flügel konnte neben der Erweiterung der Erzählung eine Einpassung in den Festzyklus des Kirchenjahres und die Unterscheidung zwischen Alltag und Feiertag erreicht werden. Das Wichtigste, Heilige, konnte so meist verborgen werden. Als Rarität behandelt war es oft reichlich mit Gold ausgestattet. Den hohen Feiertagen vorbehalten, bekam es damit eine metaphysische Dimension. Die sakrale Aura sollte sich durch möglichst kostbare Gestaltung herstellen.
Auftraggeber
Um 1500 war die Zeit der Endphase des Mittelalters und des Vorfeldes der Reformation. Als blühender Zweig einer Versicherungsbranche zugunsten der Kirche entstand ein ausuferndes Stiftungs- und Ablasswesen. Das galt als ein öffentlich sichtbares „wohltätig Geben“ und bedeutete das Freikaufen von Sünden.
Stifter aus verschiedenen Bereichen, Patrizier, Zünfte, Adelige, Kleriker suchten ihr Seelenheil im Himmelreich, in der Hoffnung einer Fortsetzung ihrer irdischen Situation. Durch Investitionen in Altartafeln hoffte man dies zu sichern und verschaffte sich damit gleichzeitig Sozialprestige. Sehr gern ließen sich die Stifter per Schrift oder Abbildung in die dargestellten biblischen Szenen als Zeugen hinein phantasieren.
Mit diesem Bedürfnis entstand eine Hochkonjunktur für religiöse Bildwerke, besonders für Schnitz- und Wandelaltartafeln, von der Handwerker und Künstler verschiedener Art profitierten.
Für den Eifer der Patrone, die Untertanen religiös betreuen zu lassen, gab es guten Grund: die schon erwähnte Folgsamkeit auf allen Ebenen, die erprobte, alles unhüllende Tarnkappe der Macht.
Hinzu kommt natürlich jederzeit für alle Menschen das Grundbedürfnis nach Welterklärung und möglichst tröstender Teilhabe an etwas größerem als der eigenen Existenz. Ein hilfreiches Geländer in dem unübersichtlichen Lauf von Ereignissen.
Der Schöpfer hatte sie von den ersten beiden Menschen sogleich nach ihrer Erschaffung erwartet. Gottes Verbot, von dem ihm vorbehaltenen „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ im Paradies zu essen, bei gleichzeitiger Bereitstellung der kurz vorher von ihm geschaffenen intriganten Schlange, schuf eine ausweglose Situation. Die Eva unterschobene Leichtgläubigkeit gegenüber der Schlange und die anschließende neugierige Nascherei von diesem „lustigen Baum“, der „klug machte“, konnte nicht gut gehen. Nach solcher Sünde wurde dieser Garten voller Überfluss eingezäunt und bewacht. Den vertriebenen Adam erwartete außerhalb ein gottverfluchter Acker und Eva unter anderem eine Schlangenphobie.(1.Mose,3/15).
Gleichfalls gesetzt waren damit die gottgefällige Unterordnung der Frau unter den Mann und spätestens mit Kains Brudermord an Abel, das Geheiligtsein von Privateigentum.
Territorialabgrenzung von Stämmen und spätere Sesshaftigkeit der Menschen mit allen Folgen war damit beschrieben. Allen späteren Besitzern von Grund und Boden und von Untertanen war das mit seiner asymmetrischen Umverteilungsautomatik stets willkommen und unterstützungswürdig.
Werkstätten und Technik
Die in Auftrag gegebenen Altartafeln wurden in Werkstätten angefertigt, die in städtischen Zünften organisiert und reguliert waren.
Der Werkstattmeister konnte Gehilfen haben oder sich externe Fähigkeiten einkaufen. Zum Teil wurden Skulpturen mit standardisierten Normgrößen auch auf Vorrat hergestellt, die dann in die übliche Nischen der Altartafeln eingepasst werden konnten. Wieviele Hände an einem größeren Werk tätig waren, läßt sich nur annähernd feststellen. Bei der um 1500 weit verbreiteten Bildschnitzerei gab es ein dreistufiges Verfahren: Schnitzerei, Grundierung, Bemalung.
Anfangs soll es einzelne, vielseitig begabte Meister gegeben haben, die alles aus einer Hand herstellen konnten, die Malerei der Tafeln inbegriffen. Mit zunehmender Differenzierung aber entwickelte sich ein arbeitsteiliger Prozess, der zeitlich nicht immer unmittelbar nacheinander folgen mußte. Das lag in alleiniger Entscheidung das Auftraggebers, hing aber auch von dessen finanziellen Möglichkeiten ab. So kamen auch mehrstufige Fertigungsprozesse mit längerfristigen provisorischen Aufstellungen in einer Kirche vor. (18)
Ausdrucksstarke holzsichtige Schnitztafeln von versierten Meistern wie Veit Stoß und Tilman Riemenschneider, die einen perfektionierten Zwischenzustand abbilden, haben sich so bis heute erhalten. Heute gelten sie als großartige und fertige Meisterwerke, was aber zur Zeit der Entstehung so nicht verstanden wurde. Auch eine perfekt geschnitztes Ensemble von Riemenschneider konnte später, noch zu dessen Lebzeiten, durchaus von einem anderen Maler farblich gefasst werden. (19) Bis zu diesem Zeitpunkt leere Schreinabdeckungen bzw. Flügel konnten bei solcher Gelegenheit zusätzlich bemalt werden.(20) Wesentlicher Grund für solche Verzögerung konnte eine im Verhältnis zum Schnitzwerk oft teurere Farbfassung sein. Deren Preis trieben die erwarteten wertvollen Materialien (21).
Der vorangegangene Zwischenschritt, die Grundierung aus Kreide und Leim, erfolgte zunächst als einheitlich helle Grundlage für die Farbe. Bei stärker angelegten Schichten konnte sie aber auch ein Ausgleich für Holz- und Schnitzfehler sein. Zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Werkstätten konnte die Kreide-Leimschicht auch die plastische Formulierung von bedeutsamen Feinheiten, wie Augen, Adern oder Wunden oder schablonierte Flächenreliefs für vergoldete Hintergründe ermöglichen.
Diese handwerklich/ technischen Umstände waren für den gegenwärtigen Zustand der Relieffiguren in Stuer von Bedeutung.
Kunstwissenschaftler haben festgestellt, dass selbst in einer Werkstatt verschiedene schnitztechnische Qualität produziert werden konnte. Ebenso waren auch Bildschnitzer und die daran anschließenden Fassmaler engagiert worden, die nicht in jedem Fall einen gemeinsamen künstlerischen Hintergrund oder einheitliche Qualitätsmaßstäbe hatten.(22)
Ein Beispiel dafür könnte eine gewisse Verwandschaft der Schnitzerei der Gesichter in Stuer (Mitte) und der Dorfkirche Brunow (rechts und links) sein. Die Hände dort allerdings sind gröber und überdimensioniert, könnten also von einem anderen Schnitzer stammen.
Einflüsse
Die großen vielfigurigen Flügelaltäre, die bis zu Ende des Mittelalters hergestellt wurden, folgten hier im Norden dem Prinzip des Schemas vom Hamburger Petrikirchaltar. Der hier schon erwähnte Altaraufsatz war 1388 von Meister Bertram hergestellt worden. In Hauptteilen kam dieser 1726 nach Grabow in Mecklenburg, gelangte Anfang des 20.Jahrhunderts aber wieder nach Hamburg in die Kunsthalle.(23)
Zwischen 1480 und 1540 fand in Mecklenburg ein teilweise zeitversetzter Austausch von Handwerkern, Kunstwerken, Vorlagen und Innovationen statt.
Wismar und Rostock standen dabei durch Wanderungen von Akteuren und durch Formentransfer zunächst unter dem Einfluss von Lübeck, Hamburg, Lüneburg und Braunschweig. In beiden Städten wurde ohne große Unterbrechungen produziert, in Wismar hauptsächlich für den westlichen Landesteil bis zur Seenplatte, in Rostock für den östlichen.(24) Ab 1500 folgten dann Werkstätten in Parchim und Güstrow, danach solche in Neubrandenburg, Friedland und Dargun.
Die Verbreitung über Bistumsgrenzen hinweg schien keine Rolle gespielt zu haben; Wismar lag im Bistum Ratzeburg, Güstrow dem von Kammin, Rostock und Stuer lagen im Bistum Schwerin.
Aus Lübeck wurde hauptsächlich nach Skandinavien und in den Ostseeraum exportiert.
Ein eher seltener größerer Import war der Altaraufsatz der Güstrower Stadtkirche von 1522, in Teilen von Meister Jan Borman aus Brüssel. Der hatte sein Werk selbstbewusst deutlich signiert.
4. Herkunft und Veränderung der Altartafel in Stuer im Vergleich
Werkgruppe Rostock/ Güstrow
Um 1500 hatte sich hier im religiösen Bereich ein zeittypischer Formenfundus herausgebildet, der sich nach einheitlichen Vorlagen überregional verbreitete.
Als Beispel: Druckgrafik, Schongauer, Martin, 1440-1491
Ohne Dokumente oder Signaturen, die spätestens mit Fassungsverlusten verloren gingen, ist der nachträgliche Versuch schwierig, einen Werkstattstil oder die Zuordnung zu einer Werkgruppe zu finden. Der bloße Vergleich formaler Übereinstimmungen bleibt unscharf.
Im 15. Jahrhundert entstanden in Rostock, in einer oder verschiedenen Werkstätten, wichtige stilbildende Altartafeln, die noch heute zu sehen sind. Sie hatten die Mecklenburgische Produktion in den Folgejahren nachhaltig geprägt:
– Das Dreikönigsretabel in der Klosterkirche der Dominikaner St.Johannis (vor 1450, heute im Kultuhistorischen Museum),
– Das Hochaltarretabel in der Klosterkirche der Zisterzienserinnen zum Hl. Kreuz
(1460-70)
– Das Hochaltarretabel aus der Nikolaikirche (heute in der Marienkirche)
(1460-70) (25)
Nikolairetabel, Schrein
Um1500 entstand die Altartafel für den Güstrower Dom. SCHLIE, der 1902 jene von Stuer noch um 1460 einsortierte, weist auf eine „auffallende Verwandtschaft mit dem Altaraufsatz im Dom von Güstrow“ hin und ordnet dabei sogar beide ein und demselben Meister zu (26).
TRINKERT ordnet 2014 die Stuerer Tafel ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts ein und bezeichnet die künstlerische Nähe beider als unstrittig.(27)
Folgt man diesem letzten Forschungsstand, werden die Altartafeln im Güstrower Dom und in Stuer mit ihren Kompositionen der Schreine in niederländischer Bildtradition, mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Produktionsort Rostock und einem dortigen Werkstattkreis zugeordnet. Eine vormalige Zuordnung des Güstrower Altaraufsatzes zur Hamburger Werkstatt um Hinrik Bornemann, hauptsächlich wohl im Bezug auf die Malerei, war eventuell eine Fehleinschätzung. (28) und (2)
Auch Güstrow als Werkstattort für beide, z.B. bei Inanspruchnahme Rostocker Kunsthandwerker, wäre nicht ausgeschlossen. Diese Verwandtschaft erklärt sich aus dem relativen Abstand des Stils beider Kreuzigungsszenen zu dem landesweit umliegender Schreine, die in diesem engeren Zeitraum entstanden waren.
Um die beiden Kreuzigungsszenen stilistisch gegeneinander halten zu können, hier eine farbneutralisierte Gegenüberstellung:
Beim Auftrag zum Schrein der Altartafel im Güstrower Dom gab es verschiedene, auch finanzkräftige Repräsentationsansprüche, mindestens der beiden Fürsten. Das führte dort zu starkem, geradezu überfüllten Andrang in der Hauptszene. Die beiden gerade aktuellen mecklenburgischen Herzöge ließen sich scheinbar gleich jeweils doppelt in der Kreuzigungsszene abbilden: Ganz klein, aber unübersehbar vorn in Anbetungspose kniend und dann noch einmal, jeweils unter die Kreuzigungszeugen gemischt (einer als Doppelgänger des dort üblicherweise abgebildeten Johannes). Dies sollte wohl die um 1500 gerade aktuellen Bemühungen zur Stärkung der fürstlichen Souveränität gegenüber den Seestädten und den Ständen demonstrieren.
In dieser Hauptszene sind auch die Hintergrundfiguren diffizil, teilweise fast porträtähnlich ausformuliert. Das führt zu unentschiedener Wahrnehmbarkeit, die Szene wirkt verwirrend und überladen, ohne Differenz von Haupt- und Nebenfiguren. Verstärkt wird dies durch die Farbfassung von 1868, die in Farben und Gold geradezu „ertrinkt“.
Stuer
Die schlichtere Variante in Stuer erscheint dagegen ruhiger, klarer und überzeugend komponiert, damit auch wahrnehmbarer. Hier gibt es nicht zwanzig Figuren, die nahezu alle ins Bild drängen, sondern fünf Hauptakteure.
Diese Vordergrundfiguren sind, mit Ausnahme der Augen, schnitztechnisch ausgearbeitet, die restlichen Hintergrundfiguren bleiben mehr oder weniger angedeutet. Hier wird die Bewertung in Frage gestellt, dass deren Formulierung auf Unfertigkeit hindeuten müßte (29). Hier könnte nämlich ein Schnitzer gewirkt haben, der ein Blick für Differenz und Wesentliches hatte.
Nahezu dasselbe Prinzip gilt für die Grablegung in der Predella. Auch hier sind fünf identifizierbare Hauptfiguren abgebildet, während alle anderen Statisten sind, die hier allerdings in zwei Ebenen sehr schematisch aufgereiht sind.
Für den Herstellungsstil macht TRINKERT Rostocker Figurentypen aus. „Es finden sich die gleichen Gesichtstypen mit modellierten Wangenknochen, einem zierlichen Kinn und feinen Lippen. Ihre Augen liegen weit auseinander, während die Nasen kräftig geformt sind.“ (29)
Dies trifft in Stuer aber in ähnlicher Weise auch für die vier Standfiguren der Heiligen zu, die erkennbar von einem anderen Schnitzer, als dem der Mittelnische, vielleicht auch einer anderen Werkstatt, gefertigt wurden. Deren Augen sind nämlich differenzierter geschnitzt und haben Andeutungen von Lidern. Vielleicht sind sie aus einem Figurenvorrat hinzugefügt. Dabei waren Normgrößen von 58-60 cm üblich. Andere hier vermutete stilistisch verwandte Schnitzfiguren sind im Anhang genannt (30).
Eine genauere kunsttechnische Beschreibung des Schreins ist ebenfalls im Anhang zu finden (31). Dabei wird auch hingewiesen auf jenes Detail, das eine mögliche Zusammensetzung ursprünglich nicht füreinander gedachter Teile anzeigt.
Besonderheit in der Mittelnische
Im jetzigen Zustand der Altartafel in Stuer, also spätestens seit 1688, ist ein auffallender Gegensatz in der Mittelnische festzustellen, zwischen versiert geschnitzten und gut komponierten Figurengruppen der Reliefs einerseits und pauschalen Augenpaaren der Figuren andererseits, die richtungs- und ausdruckslos in die Gegend schauen. Der Schnitzer hatte das entscheidende Ausdrucksmerkmal von Gesichtern menschlicher Figuren, die Augen, bei allen Dargestellten als undifferenzierte konvexe Wölbungen vorbereitend formuliert. Es war vorgesehen, dass die Augen, die Iris, die Pupille und die Lider allein durch die Malerei gebildet werden sollten.
Die Körpersprache der Dargestellten und ihre Beziehung zur Hauptfigur und zueinander, geht ohne Gefühlsabbildung auf den Gesichtern, weitgehend ins Leere.
Augen ohne Markierung der Lider anzulegen, um sie dann ausschließlich durch Grundierung und/ oder Malerei differenziert zu bilden, war Anfang des 15. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich.(32)
Mit Vervollkommnung der Schnitzerei, also immer differenzierteren Einzelheiten und einer stärkeren Individualisierung der Figuren gegen Ende des 15.Jh, kam das weniger vor. Vorrangig bei eher einfacherer provinzieller Schnitzerei wurde das so gehandhabt.(33)
Abb.: Japenzin, drei Erscheinungsformenformen der Augen (34)
Es kam aber vor, wie KNÜVENER bestätigt (35) und feststellt: „Im Mittelalter gibt es (fast) nichts, dass es nicht gibt.“ Gleichzeitig weist der Mittelalterspezialist darauf hin, dass es nicht selten „innerhalb eines Retabels auffällige Unterschiede in Technik und Stil“ gäbe. Auf die Schnitzerei der Augen bezogen, hieße das, es wäre „auch nicht unbedingt ein Zeichen von minderer Qualität, dass dem Maler der bedeutende Teil der Vollendung zukam.“
Entweder war der Schnitzer auch anschließend mit Grundierung und Fassung befasst, oder der Fasser hatte sich diese, zu dieser Zeit eigentlich überholte Variante bestellt, weil er damit größere Freiheit bei der Formulierung der Augen- und Gesichtspartien hatte.
Zwei Beispiele des Ausdrucksgehaltes von Augen:
Riemenschneider, Dettwang/ Goldene Tafel, Lüneburg
Spekulation
Wir kennen nicht die mittelalterlichen Farbfassungen der Figuren in Güstrow und in Stuer. Hier sei aber ein gedankliche Annahme gestattet: Die Fassung im Stuerer Schrein war nur eine Teil-Fassung. Das wäre von vorn herein bei allem Nebensächlichen bewußte Holzsichtigkeit gewesen, eventuell teilweise lasierend getönt. Alles Wesentliche dagegen wäre farblich gefasst gewesen: die Gekreuzigten und die Hände und Gesichter (Inkarnat) der Hauptfiguren mit ausformulierten Augen. Dazu gab es eine flächendeckende Vergoldung des Hintergrundes.
Die sichtbar fehlerfreie Durcharbeitung der Gewänder hatte eine Abdeckung durch Grundierung und Farbe jedenfalls nicht nötig.
Eine solche Fassung wäre eine entschiedene, aber feine farbliche und materialbetonte Differenzierung gewesen, wie sie der Art der Schnitzerei entsprochen hätte.
Halbgefasste Schnitzereien bei Altaraufsätzen bilden eine eigene kleine exklusive Gruppe. Ausgeführt wurde so etwas am Schrein der Altartafel der Lukasbruderschaft von 1499 in der St. Jacobikirche Kirche in Hamburg.
siehe auch Abbildung (2): Detail, Katharina erhält Verlobungsring
Es gibt auch wenige Altaraufsätze, bei denen eine Teilfassung der Schnitzerei mit darauf abgestimmten, nahezu monochrom auf den Holzton abgestimmte Malereien auf den Flügeln eine künstlerische Einheit bilden.(36)
Eine solche souveräne Modernität des Schreins in Stuer wäre jedoch außergewöhnlich gewesen.
Doch schon die Herkunft aus einer renommierten Werkstatt des Zusammenhangs Rostock-Güstrow wäre im Fall einer ursprünglichen Auftraggeberschaft für Familie von Flotow mit einigem Ansehensgewinn verbunden gewesen.
Das aber ist reine Spekulation, wie sie sich Experten, die rein wissenschaftlich oder restauratorisch denken, nicht gestatten.
Datierung
Außer einer möglichen Parallelität zur Güstrower Tafel, wo die 1503 bzw. 1507 endenden Regentschaften der dargestellten beiden Fürsten einen Anhaltspunkt bieten, gibt es für die Zeit um 1500 noch einen weiteren. Dies ist die wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt aufkommende Mode des Kuhmaulschuhs. Eine Bestätigung findet sich bei KNÜVENER (35) bei einer zeitlichen Einordnung einer Altartafel in Salzwedel, der direkt auf Stuer übertragbar ist: „So trägt der zweifelnde Soldat rechts. . . ebenso wie der Gute Hauptmann vorne abgerundete … Kuhmaulschuhe, die erst im frühen 16. Jh. in Mode kamen.“ Die beschriebene Szene ist datiert auf 1509. In Güstrow (hier rechts) wurden solche Schuhe an gleicher Stelle noch etwas früher abgebildet:
Der Ort
Bisher muß die Frage offen bleiben, ob die ursprüngliche mittelalterliche Ausführung der Altartafel in Stuer für eine Kirche dort gedacht und bestellt worden war. Damit ist der Vorgängerbau des jetzigen Gebäudes gemeint, dass erst am Anfang des 18. Jahrhunderts errichtet wurde. Ein Pfarrer (als Zeuge einer geschäftlichen Beurkundung) war für Stuer schon im Jahr 1363 angezeigt worden. Die Existenz eines Kirchgebäudes ist zu der Zeit anzunehmen. Dieser erste Bau bestand womöglich schon aus Feldsteinen, ähnlich denen in Dambeck, Grüssow und Satow.
Eine andere Möglichkeit der Herkunft der Altartafel, wäre die Übernahme aus einem Kloster gewesen, nach dessen Auflösung nach der Reformation im 16. Jahrhundert.
Auch aus großen Stadtkirchen wurden zahlreiche Altäre aussortiert, die zum Teil woanders ihren Platz fanden. Um 1500 gab es, als Beispiel, in der Nikolaikirche von Wismar 38 Altäre, der dortigen Marienkirche 20 und in der Pfarrkirche Güstrow 18. (37)
Für den Fall des frühen Standortes in Stuer, könnte die Kirche im Dreißigjährigen Krieg oder dessen Nachfolgen, ähnlich der Wasserburg, unreparable Schäden davon getragen haben. Wo könnte die Altartafel diese unsicheren Jahre und die Zeit zwischen 1688 und dem Neubau der Fachwerkkirche um 1717 überdauert haben, in der steinernen Kirche, an einem nahen sichereren Ort oder ganz woanders?
Der Wechsel von Altartafeln zwischen Kirchen war zu allen Zeiten ein üblicher Vorgang. Sie wurden auch auseinander genommen, in andere Zusammenhänge eingesetzt, bewußt zerstört oder -wie in den letzten Jahrzehnten- für selbstbezogene Kunstsammler gestohlen.
Andererseits wäre auch möglich, dass der ursprüngliche steinerne Kirchbau aus dem 14.Jahrhundert nicht oder wenig defekt war. Vielleicht war er auch schon repariert, erschien aber dem Patronatsherrn einfach zu klein oder zu wenig repräsentativ und wurde deshalb 1717 ersetzt.
Für die Variante, dass die Altartafel erst kurz vor 1680 für Stuer erworben, vielleicht auch erst zu diesem Zeitpunkt zusammen montiert und restauriert wurde (38), fand sich ein Hinweis: Zwischen 1681 und 1704 war ein Georg Lukow aus Wismar (!) Pastor in Stuer. Der aber ist heute in dieser Stadt, jedenfalls als ehemals dort schon aktiv tätiger Geistlicher, nicht bekannt.
Als sich Augustin Dietrich von Flotow und Ehefrau Catharine Elisabeth von Blücher nach dem großen Krieg (1618-48) in den 1670er Jahren mit dem Altar befassten, ihn vielleicht günstig erworben hatten, dürfte er jedenfalls in einem schlechten Zustand gewesen sein. Noch 1674/75 herrschte hier wieder Krieg mit Truppendurchzügen, 1684 dann noch einmal.
Zum Zeitpunkt 1688, der letztendlich datierten (Neu?)-Stiftung, war A. D. von Flotow übrigens schon zehn Jahre tot. (39)
Veränderungen von Schrein und Predella
Restauratoren fanden 1994 nur kleinste Spuren der mittelalterlichen Farbfassungen auf den Figuren und Reste der Tafelmalereien auf den Flügeln.(38) Zwischen 1500 und 1688 hatten die grundierten Farben und die Holzkörper empfindlich auf klimatische Veränderungen wie Temperatur und Feuchtigkeit reagiert. Wie ausgeführt, hatten die Grundierungen unter Farbe und Gold üblicherweise aus einer Kreide-Leim-Mischung und die Farbe darüber aus einer eibasierten Tempera bestanden.
Die vorhandenen mittelalterlichen Farbreste auf den Figuren der Kreuzigungsszene innerhalb des Schreins und die der Grablegung in der Predella wurden deshalb komplett entfernt.
Dies geschah nicht mit den Figuren der drei Gekreuzigten (aus Respekt?).
Vielleicht weil es sich im vorliegenden Fall um eine insgesamt versierte und kompositorisch interessante Schnitzarbeit aus Eichenholz handelte, entschied man sich im 17. Jahrhundert die entstandene reine Holzsichtigkeit zu belassen.
Um die Gruppe der Gekreuzigten dem Rest anzugleichen, wurden dort die Reste der ursprünglichen Farbfassung mit einem holzimitierenden Anstrich versehen. Deren differenzierte Wahrnehmbarkeit ist heute durch speckigen Firnisglanz sehr erschwert.
Den Zustand im 17.Jahrhundert hatte die Tafel in oder für Stuer mit nahezu allen spätmittelalterlichen Bildwerken gemeinsam.
„Grundsätzlich haben sich im Untersuchungsbestand nur sehr wenige Holzbildwerke erhalten, die wenigstens Reste ihrer ursprünglichen Farbigkeit behalten haben.“ (40)
In vielen Fällen sind die Farbfassungen danach aber neu aufgebracht worden, nicht selten dabei dem gerade herrschenden Zeitgeschmack angepasst.
Solche Übermalungen von Schnitzereien älterer Figuren waren zwischen dem 17. Jh. und den 1960er Jahren nicht unüblich. Sie wurden dabei eher weniger als mehr am Original orientiert.
Wieweit ein Auftraggeber sich entschied, den ursprünglichen Zustand wieder herstellen zu lassen oder umzuwandeln, hing von verschiedenen Faktoren ab. Da wirkte zuerst womöglich eine ästhetische Grundauffassung von protestantischer Kargheit („ehrwürdiger Einfachheit“). Oder es wurde eine barocke Konzeption bevorzugt, die dann auch zu einer weitgehenden Veränderung eines Werkes führen konnte. Auch hätten die Finanzierung oder die Fähigkeiten des Auftragnehmers einer solchen Arbeit entscheidend gewesen sein können.
Mit dem Augenausdruck der Figuren und anderen wichtigen Details gingen im Stuerer Altarausatz nach zweihundert Jahren die künstlerische, aber auch die angestrebte theologische Absicht der Darstellung teilweise verloren: Freund-Feindkennung, Anteilnahme,Treue, Hass, Verachtung, Reue,Tränen, aber auch Schweiß, Blut und Folterspuren. HIer die Grablegung in der Predella:
Die Seitenwunde des Gekreuzigten Jesus Christus und die Wundmale hatten, zum Beispiel bei der Darstellung der Tortur, stets ersten Rang. Das Leiden Christi mit größtmöglicher Intensität und so schonungslos wie möglich an Figuren darzustellen, war existenziell für die Lehre. Deshalb wurden sie plastisch, auf jeden Fall auffällig farblich, dargestellt. Auch in der Grablegung deutlich angeordnet, galt dies als Beweis für die Identifizierung und einen tatsächlichen Tod. Nicht ohne Belang vor einer Wiederauferstehung! Die damit verbundenen Wunder sollten so bewiesen und gleichzeitig Mitgefühl mobilisiert werden.
Im Altaraufsatz in Plau wird das so dargestellt:
Durch den Umgang mit dem Stuerer Schrein im 17.Jh. ist sicher eine Notrettung dieses Werkes erfolgt, in seiner religiösen und künstlerischen Substanz aber blieb oder wurde er beschädigt. Andererseits haben die Patrone es unterlassen, die Szenen zeitgenössisch, vielleicht geschmäcklerisch anmalen zu lassen.
Veränderungen der Tafelmalerei
Relativ wenige Altartafeln mit erhalten gebliebener mittelalterlicher Malerei auf den Flügeln haben die Zeiten überstanden. Das war dann meist das Ergebnis mehrfacher sorgsamer Restaurierungen oder von günstigem Raumklima. Beim Versuch der Zuordnung solcher Objekte zu einem Werkstattzusammenhang spielen diese Bilder aber eine wichtige Rolle. Im Fall der Stuerer Tafel gingen sie verloren und stehen damit zu einer solchen Einordnung nicht zur Verfügung.
Die heute sichtbaren acht Tafelmalereien der Flügel mit den Evangelisten und den Passionsszenen waren vor 1688 komplett über die Reste der mittelalterlichen Fassungen gemalt worden. Das geschah mit Ölfarbe im Stil eines ländlichen Barock. Weil dabei keine Ausgleichsschichten aufgetragen worden sind, war dies 1994 auch für die Restauratorinnen Schwartz und Geipel erkennbar.(38)
Auf den Rück- oder Alltagsseiten der Flügel, dort wo heute die Evangelisten zu sehen sind, konnten die Restauratorinnen Reste von Tafelmalerei nicht feststellen.
Entweder hatte dort außen die Feuchtigkeit in knapp zweihundert Jahren ganze Arbeit geleistet oder es gab dort vorher keine Malerei.
Halb gereinigte Tafel der heutigen Variante, von G.Schwartz und K. Geipel (41):
Vergleiche
Wie die Tafeln in der mittelalterlichen Darstellung im Prinzip etwa ausgesehen haben könnten, zeigt die Ansicht der Altartafel von Kratzeburg. Sie ist kleiner (Schrein 124 x 98 cm) als die in Stuer, dabei auch traditioneller und naiver. Sie wird zwischen 1470 und 80 eingeordnet und entstand wahrscheinlich ebenfalls in einer Werkstatt in Rostock oder unter deren Einfluss. Die Szenen der Passion, die hier noch in der spätmittelalterlichen Darstellung vorhanden sind, stellen inhaltlich genau die gleichen dar, wie auch jene in Stuer.
Wie die stilistische Qualität der verlorenen Bilder auf den Stuerer Flügeln auch ausgesehen haben könnte, zeigen die noch vorhandenen spätmittelalterlichen Passionsdarstellungen auf den Flügeln eines Marienretabels in Lindow (zw. Neubrandenburg und Strasburg).
Sie werden etwa zeitgleich wie die ursprünglichen Malereien in Stuer dem Rostocker Werkstattzusammenhang zugeordnet.(42a)
Auch mit diesem Beispiel zeigt sich das Problem unterschiedlicher Qualität im Verlauf des Spätmittelalters, aber auch zur selben Zeit an verschiedenen Orten. Den Schlüssel dazu hatten die Auftraggeber in der Hand, die mit detailliertesten Verträgen, Ansprüche, Kosten, einzusetzende Materialien und Fertigstellungsfristen festgelegt hatten.(17)
Noch zwei andere spätgotische Passionsdarstellungen mit Darstellungen aus dem üblichen Bildprogramm (in der Kirche Schmiedeberg/ Uckermark) sehen so aus (42b):
In den Werkstätten, die den Einflüssen ausdem weiteren Umfeld ausgesetzt waren, hatte sich der Darstellungsstil in Verlauf des 15. Jahrhunderts dynamischer, individualistischer und teilweise realistischer entwickelt. (44) Gegenüber der etwas statischen byzantinischen Tradition sollten gefühlsbetonte Darstellungen die religiösen Inhalte den Gläubigen näher bringen.
Um ikonographische Vergleiche von verschiedenen Kreuzigungsszenen in geschnitzten Schreinen aus der Zeit um 1500 zu ermöglichen, soll hier stellvertretend einer gezeigt werden. In der Kirche von Jürgenstorf bei Stavenhagen war eine spätere robuste Überarbeitung mit Farben erfolgt. Der Schrein macht dadurch heute einen fröhlich populären Eindruck.
Die Bandbreite christlicher Darstellungen soll zu guter Letzt noch um ein Stück erweitert gezeigt werden. Deshalb soll hier auf eine Tafelmalerei in der Kirche von Grüssow hingewiesen werden. Sie steht nach der Erwähnung des Petrialtars (1383) und des Lukasaltars (1499) in Hamburg, den drei Altartafeln in Rostock, der aus Kratzeburg (1470), der im Güstrower Dom (um 1500) und jenen in Lindow und Jürgenstorf (1500) an einem anderen Ende des Spektrums christlicher Kunst, der Volksfrömmigkeit. Es handelt sich um eine naive Altartafel (etwa126x 111cm) von 1676, also der Zeit der barocken Variante der Tafeln in Stuer.(45)
Hier sind die mahnenden Aussagen in Richtung Rechtgläubigkeit, ohne großartige kulturelle Überhöhung, mit angedrohten Strafen bei Abweichung, deutlich wie in einem Comic.
Diese Abhandlung möge auch dazu anregen, Altartafeln in Kirchen und Museen aufmerksam zu betrachten.
Die Wahrnehmung des sakralen Raumes und seiner Schätze ermöglicht uns Einblick in die frühere Befestigung eines Dorfes und seiner Bewohner in der Welt.
Fragen an uns heute bleiben dabei kaum aus.
Der sozial unterschiedlich vollzogene „Tanz ums Goldene Kalb“ wird auf einer endlichen und geplünderten Erde nicht gelingen.
Unsere Selbstgespräche dazu könnte womöglich Antonius vermitteln.
Todsünden: Maßlosigkeit und Selbstsucht (Gula), Neid und Missgunst (Individia) und Habsucht (Avaritia)- Soldaten streiten sich um die Kleider von Christus.
Im Schrein der Johanniskirche, Rostock und der dortigen Nikolaikirche (heute in der Marienkirche).
(Sommer 2020)
Anhang und Quellen
(1) Innenseite der Predellatüren,
deren Texte sich auf die daneben sichtbare Grablegung beziehen.
Linke Innenseite: Erste Strophe eines Liedtextes von Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) von 1628. Seine vorsichtige Kritik an Folter und Hexenwahn(1631) brachte ihn in eine Außenseiterposition in der katholischen Kirche. Er starb nach der Betreuung von pestkranken Soldaten.
Linke Innenseite: O Traurigkeit, o Herzeleid
Ist das nicht zu beklagen?
Gott des Vaters einzig Kind
Wird ins Grab getragen
rechte Innenseite: Aus dem damaligen Kirchengesangbuch, mit leichten Abwandlungen und Auslassungen
(Ach) Jesu! Laß mich doch (nicht) hier,
nimm mich nur ins Grab mit dir,
lass deines süßen Herzens Schrein
mein Grab und ein´ge Ruhstätt seyn.
(O Jesu,) nimm dies Leben hin!
Ich ruh nicht, bis ich bey dir
bin.
(2) Lukasretabel, um 1500, Stiftung des Maler Amtes für den Marien-Dom, das Bildprogramm wird Hinrik Bornemann zugeschrieben
HAUPTKIRCHE St. Jacobi. Hamburg – PDF Kostenfreier Download(3)
Wesentliche Quelle hier war: Sachs,H. u.a.,Christliche Ikonographie in Stichworten, Leipzig, 1988
(4) Flügel vom Altaraufsatz des großen Retabels der Güstrower Stadtkirche, Anfang 16. Jahrhunderts, Malerei wahrscheinlich von van Orley, Bernaert,
hier: Katharina, Martyrium und Siegerin, Fotos: Schwartz, G.
(5) Taubert, J., Farbige Skulpturen, Bedeutung-Fassung-Restaurierung, München, 1983, S. 13 und 149)
Hier besonders:
– Über die künstlerische Einheit von Form und Farbe in der Skulptur (Gotische Skulpturen) und
– Zur Oberflächengestalt der sog. ungefaßten spätgotischen Holzplastik
(6) Goldgrund und Himmelslicht, Die Kunst des Mittelalters in Hamburg, Ausstellungskatalog, Hamburg, 1999/2000, S.26
(7) Taubert, wie (5), S.46
(8) Elfenbeinkästchen, früheste bekannte Kreuzigungsdarstellung mit Selbsttötung des Judas, 425, römisch, Britisches Museum
(9) Meister Bertram, Petri-Altar, Hamburg/ Kulturhistorisches Museum Rostock
(10) Standorte der Röbeler Strahlenkranzmadonnen : Museum Güstrow, Hegner, K., wie (44), Nr.51, Röbel Marienkirche, Trinkert, J.,wie (24), Nr. 67
(11) Wolgast, E., Die Reformation im Herzogtum Mecklenburg und das Schicksal der Kirchenausstattungen, in: Fritz(15), S.63
(12) Wartenberg, G., Bilder in den Kirchen der Wittenberger Reformation, in: Fritz.(15), S,27
(13) Wartenberg,G.,wie (12), S.31
(14) Lisch, MJb 25, 1861, Über die Reformation zu Stuer, S.55
(15) Fritz, J.K.,Hrsg., Die bewahrende Kraft des Luthertums, Regensburg,1997
(16) 4 Evangelisten, Evangeliar um 800, Aachen
(17) Habenicht, G.; Die ungefassten Altarwerke des ausgehenden Mittelalters und der Dürerzeit, Diss., Göttingen,1999, S.151 Die ungefaßten Altarwerke des ausgehenden Mittelalters und der Dürerzeit – eDiss
(18) wie 17, S.112
(19) wie 17, S.90
(20) wie 17, S.120
(21) wie 17, S.131
(22) Schrenk, A., Aus Rostocker Werkstätten? Vergleichende kunsttechnologische Untersuchungen an sieben Flügelretabeln um 1500, Diss., Dresden, 2019
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-720654
(23) Sitt,M./ Hausschild, S., Der Petri-Altar von Meister Bertram, Hamburger Kunsthalle, 2016
(24) Trinkert,J., Flügelretabel in Mecklenburg zwischen 1480 und 1540, Petersberg, 2014, S.136
(25) Wagner, K., Rostocker Retabelkunst im 15. Jahrhundert, Kiel, 2011
(26) Schlie,F.,
„Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg-Schwerin“, V. Band: Die Amtsgerichtsbezirke Teterow, Malchin, Stavenhagen, Penzlin, Waren, Malchow und Röbel. Schwerin, 1902 , S.450
(27) Trinkert,J., wie 24, S.116
(28) Deutsche Kunstdenkmäler, Bezirke Neubrandenburg, Rostock, Schwerin, Leipzig, 1970, S.369
Dehio, Die Bezirke Neubrandenburg, Rostock, Schwerin, Berlin,1980, S.138
zu Bornemann: (6), S. 222
(29) Trinkert, J., wie (24), S.114
(30) Strahlenkranzmadonna aus Neubrandenburg (Regionalmuseum), Retabelfragmente in Brunow (östl.von Grabow),
Relief einer Kreuzigung aus Barkow (nahe Plau, jetzt Museum Schwerin), dort ebenfalls undifferenzierte Augen
(31) Retabel Stuer, Beschreibung, kunsttechnisch
Der Schrein ist quadratisch und etwa drei Fuß (170 cm) hoch, was eine in der Entstehungszeit verbreitete Höhe solcher Altaraufsätze im Norden war. Die hochrechteckige Mittelnische mit dem Hauptbildwerk ist gegenüber den schmalen flacheren Gefachnischen der übereinander angeordneten Heiligen noch eimal um 5 cm tiefer. Das Schreinrelief der Kreuzigungsszene, das zwanzig Personen darstellt, bzw. andeutet, ist aus fünf Werkblöcken zusammengesetzt (>38). Fünf Vordergrundfiguren sind, mit Ausnahme der Augen, schnitztechnisch ausgearbeitet, die restlichen wurden mehr oder weniger angedeutet.
Die Nischenskulpturen haben eine Höhe von etwa 58 cm.
Die Schleierbretter, die die Figuren bekrönen, sind über der Kreuzigungsszene dreiseitig gesprengt.
Die Predella ist mit einer schreinförmigen Vertiefung versehen, in die das Relief mit der Grablegung eingefügt ist.
Auffällig, weil bisher woanders nicht beobachtet, ist bei dieser Altartafel die Doppelung der senkrechten Strebepfeiler. Diese bilden die Abgrenzung zwischen der Mittelnische und den beidseitigen flankierenden Gefachnischen. Im Normalfall besteht dies aus einem Brett. Hier sind jeweils zwei Bretter unterschiedlicher Stärke gedoppelt und versehen mit „Konsolklötzchen mit Wasserschlag“, die untereinander und mit der Umgebung nicht korrespondieren.
Abb.: Schrein -Detail
Diese disharmonische Konstruktion deutet auf eine nachträgliche Montage (wo und wann?). Einzelne Teile einer Altartafel konnten in verschiedenen Werkstätten und Städten hergestellt worden sein. Sie wären dann unkomplizierter transportiert und vor Ort z.B. vom Kistenmacher zusammengebaut worden.(24), S.221
(32) Tangeberg, P., Holzskulptur und Altarschrein, Studien zu Form, Material und Technik, München, 1998, S.170
(33) Beispiele:
Beggerow/
Japenzin/
Anna Selbdritt, Röbel, Museum Güstrow, Trinkert (24), Nr.93/
Fragment Kreuzigung, Barkow bei Plau, Mus.Güstrow, Hegner(42), Nr.56
(34) Foto: Witt, D.
(35) email v.7.11.2020 und
Knüvener, P., Der Hochaltar der Salzwedeler Marienkirche, Berlin, 2012, S.102
(36) Alpirsbach, Klosterkirche 1V.,16.Jh
(37) Trinkert,J., wie (24), S.33
(38) Bericht über die Restaurierung des Schnitzaltars in der Kirche zu Stuer, 1994, Restauratorenteam: Geipel, K., Schwartz, G., Ehlich, V.,
Der Restaurator V. Ehlich schätzte 1994 ein, dass die Scharniere zwischen Schrein und Flügeln vermutlich aus dem 17.Jahrhundert stammen könnten. Klären könnte das vielleicht nur eine Dendroprobe, an geeigneter Stelle an einem Rahmen, von hinten.
(39) von Flotow, G.,
„Beiträge zur Geschichte der Familie von Flotow“, Gustav v. Flotow, Dtresden 1844
(40) Trinkert,J., wie (24), S.65
(41) Foto: Schwartz/ Geipel
(42a) Foto: Trinkert,J., Scan aus (24)
(42b) Fotos: Jacob, D.
(43) Irmscher, J., Der Byzantinische Bilderstreit, Sozialökonomische Voraussetzungen-ideologische Grundlagen-geschichtliche Wirkungen, Leipzig, 1980
(44) Hegner, K., Aus Mecklenburgs Kirchen und Klöstern, Der Mittelalterbestand des Staatlichen Museums Schwerin, Petersberg, 2015
(45) Die Sprüche auf der Grüssower Tafel:
(46) Hannu Lehtonen