Stuer,Schrift,19.Jh,DDR-Schild

Zum Ortsnamen des Dorfes Stuer

Überlegungen zur Herkunft und Aussprache des Ortsnamens STUER

Zusammenfassung

Der Name Stur-See (heute Plauer See) entstammt wahrscheinlich, wie viele europäische Gewässer, vorslawischen, vielleicht auch indogermanischen Sprachschichten. Von ihm wäre dann im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts der Ortsname Stuer abgeleitet worden.

 

Friedrich LISCHS Annahme von 1850, die spätmittelalterliche Wasserburg Stuer hätte einen namensgebenden slawischen Vorgängerbau bzw. Ort gehabt, muß heute als widerlegt angesehen werden ( siehe Seite: Die teils phantasierte Dorfgeschichte von Stuer). Diese seither weitererzählte Festlegung war jedoch der Ausgangspunkt für die Sprachwissenschaftler, Burg mit Ort Stuer als eine slawische Gründung zu sehen, um folglich den Wortstamm aus dem Altpolabischen herzuleiten. Dabei wurde wohl der Interpretationsraum genutzt, den die Übertragung der slawischen Lautsprache in mittelniederdeutsche bzw. lateinische Schriftsprache bot.(1)
 Der Sprachwissenschaftler Prof. E. EICHLER, der zuletzt (1997) eine slawische Herkunft des Ortsnamens annahm, wurde nach Alternativen befragt.
 Er räumte auch eine andere, als die bisher ausschließlich verfolgte Möglichkeit ein und verwies auf Prof. Jürgen UDOLPH. Damit bekam die Diskussion im Zusammenhang mit europäischer Gewässernamen-Forschung eine andere Dimension. UDOLPH, danach befragt, ist von den slawischen Deutungsvorschlägen nicht überzeugt und verweist auf eine wahrscheinlichere, vorslawische also indogermanische Sprachschicht. Er benennt eine Vielzahl von Gewässernamen, von in der Regel größeren bzw. längeren Gewässern, von der Ukraine bis nach England, von Nordeuropa bis nach Italien, die auf „Stur“ zurückgehen.(2)
Die Bezeichnung des (ehemaligen) Stur-Sees entstammt demnach aus denselben, jedenfalls vorslawischen Sprachschichten, wie verschiedene umgebende Gewässernamen (Oder, Havel, Spree, Dosse, Elde, Elbe)(3). Es ist wahrscheinlich, dass die Namensgebung von größeren Gewässern, bei denen kontinuierliche(?) Siedlungsreste die mündliche Überlieferung ermöglichten, auf noch ältere, „alteuropäische“ Sprachschichten zurückweist.
 Weil Orts-, Personen- oder Völkernamen stärker politischen und nachbarschaftlichen Wandlungen unterworfen sind, ist es üblich, dass Gewässernamen zum Teil älter, kontinuierlicher und historisch geschichteter sind. Im indogermanischen Wörterbuch sind Silbenbestandteile zu finden, die auf stü- und stüro- aufbauen, was neben anderen Möglichkeiten auch auf stauen, fließendes Wasser hemmen hinweisen könnte. Das soll hier nicht überbewertet werden, aber der große See lag für seine frühen Anwohner erkennbar höher als die Elbe, in die er über die Elde abfloss. Stauen oder nicht, könnte eine sehr alte Frage gewesen sein. So ist auch nach dieser These anzunehmen, daß der Ort Stuer (Stur) nach dem See benannt worden ist. Denn 1178 ist ja in größerem geografischen und besitzzuweisenden Rahmen der See bezeichnet worden, nicht der Ort. Jedenfalls nicht dieser.
 Eine slawische Besiedlung zu dieser Zeit ist bisher nicht durch einen einzigen Indikator belegt.
Ganz sicher ist Spekulation, ob vielleicht auch westfälische und holländische Siedler, die Interesse an diesem möglichen Wassermühlen-Standort hatten, Gefallen an diesem See-Namen fanden, der dann abgelöst wurde, im südlichen Ende aber wohl noch eine Weile fortbestand. Ihrer mittelniederdeutschen Sprachgewohnheit wäre er entgegengekommen. Ausgeschlossen ist auch nicht, daß dabei Bauernsöhne aus dem 230 km entfernten Stuhr an der Weser waren, die wegen des sächsischen Erbrechts auf der Suche nach Land waren. So wie Sachsenherzog Heinrich 1164 im endgültig eroberten Quetzin und auch auf der Slavenburg Malchow namentlich bekannte sächsische Verwalter einsetzte, tat er es gleichzeitig weit im sächsischen Altsiedelland. Im Marschgebiet links der Weser südwestlich von Bremen, ließ er durch einen von ihm eingesetzten Erzbischof am Fluß „de sture“ die Gegend einem adligen Lokator übertragen. Dieser soll, wie in der Urkunde dazu 1171 erwähnt, jenes Bruchgebiet „an beliebige Käufer . . . verkaufen, um es für sich und seine Erben nach Holländerrecht zu besitzen“(4). Auch dort sind, wie bei Stuer in Mecklenburg, verschiedene Schreibweisen über die Jahrhunderte anzutreffen (1367 Stüre, 1383 Stura, 1440 Sture, 1540 Sthure, 1547 Stueerr, 1607 Indestor, 1656 Staur, 1748 Stuer, heute: Stuhr).
Familiennamen de store, de sture, de stura finden sich übrigens in den Registern der Urkundenbücher von Lübeck, Osnabrück, Oldenburg, Hamburg, Holstein.

Eine weitere nicht unbedingt schlüssige Interpretation des Namens sture erwägt einen Bezug zum oder eine Ableitung vom westlich angrenzenden ehemaligen Land Ture.(5)

Zur überlieferten Schreibweise

in lateinischen, mittelniederdeutschen und hochdeutschen Überlieferungen, in der Regel in Abschriften aus schriftarmen Zeiten, dabei vielleicht aufgetretene Übertragung- oder Schreibfehler inbegriffen:
sture (1289), sthuere (?,Name,1306), sto`´ren (?,Name,1329), sture (1340), stuer (1344), sture (1361,1363), stu°r (1387), Sthur (1587), Stuhr (um 1750), Stuer (ab 1782 in Staatskalendern), danach Ausnahme Stur (1861(6))

Brief d. herzögl.Verwaltung v. 19.8.1748 nach Stuhr(!)

Beispiel:  Erster Versuch von Mißbilligung der Einrichtung eines eigenen Frohners/“Nachrichters“/Abdeckers in Stuer durch die Verwaltung (Herzogliche Kammer) des Landesherren. Hier mit dessen eigenhändiger Unterschrift. Dieser Streit währte mindestens vierzig Jahre.(7)

Brief der Herzoglichen Verwaltung nach Stuhr(!),19.8.1748, mit Unterschrift des Herzogs

Eine andere Schreibweise für Stuer in einem Mecklenburgischen Staatskalender:

Andere Schreibweise für Stuer, Mecklenb.Staatskalender

Aussprache

Ortsfremde sprechen Stuer [ʃtuːɐ̯] betreffend gelegentlich von „Stür“, weil sie -ue- auch in diesem Fall für -ü- halten.
Es handelt sich hier aber um ein Dehnungs-e. In diesem Fall die niederdeutsche Variante. In der deutschen Rechtschreibung ist dieses hinter anderen Vokalen in einigen Regionen als Längenzeichen der Aussprache nur in Eigennamen erhalten.(8)

Bei Ort Stuhr, im Altsiedelland gelegen, wird das -u- durch das -h- in die Länge gezogen. Beide wohl sprachverwandten Orte werden also nicht „Stur“mit kurzem -u- oder „Sturr“ ausgesprochen.

Eine ähnliche, das ganze Territorium betreffende Aussprache-Dehnung ergibt sich bei: Mecklenburg, das „Meeklenburg“ ,[ˈmeːklənbʊrk], also mit langem -e- gesprochen wird, nicht „Mekklenburg“. Friedrich LISCH hätte 1832 gern wieder die Schreibweise Meklenburg eingeführt. Recht gab ihm dabei die Antwort auf eine Anfrage bei den Gebrüdern Grimm in Göttingen. LISCH argumentierte, dass der Name so geschrieben werden solle, „indem er aus mikil, hochd. michil (groß) und burg zusammengesetzt und das inlautende -en- ein verbindendes sei.“ Vor Einführung der Schreibweise mit -ck- im 16. Jahrhundert, wäre Mikilenborg (niederdeutsch) oder Michelenburc (hochdeutsch), auch Mekelenburg, Mäkel(n)borg [ˈmɛːkəl(n)bɔrx] oder Mykelenborch, also Meklenburg üblich gewesen.(9) Leider konnte sich LISCH nicht durchsetzen.

Erkenntnisstand: Frühjahr 2008/2018

Quellen

(1) Kühnel, P., Die slawischen Ortsnamen in Mecklenburg, in: MJb. 45 (1881), S. 140
 Trautmann, R., Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen, 1953/56, 40,57
 Eichler, E./ Mühlner, W., Ortsnamen slawischer Herkunft im östlichen Mecklenburg, in: Mecklenburg Magazin 5/1997, S. 10
(2) Udolph, J., Ex oriente lux, S. 85-88, in: Bz Namenforschung, NF 16(1981)
 Udolph, Hydronymia Germaniae, Bd.16, S. 335 
Udolph, Hydronymia Europaea, Einführung, S. 5-10 
Udolph, Namenskundliche Studien zum Germanenproblem, 1994, 
in: Reallexikon German. Altertumskunde 9, S.11-15/ S. 145
(3) Jackewitz, R., Die Wenden, Teil 2, in: Müritz-Anzeiger Nr.24/2008, S.8
(4) Gründungsurkunde von Stuhr vom 8.8.1171 in: Lemberg. E., Das Buch von Stuhr 1966, Bd.1, S.
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(5) Lisch, F.,in MJb 10(1845), S.34: „Die von Cleemann vermuthete . . . Verwandschaft der Namen Ture und Stur (im Lande Malchow) bleibt reine Hypothese; vergl. Cleemann´s Parchimsche Chronik S.270 und 245.“

(6) Lisch, F., MJb 26 (1861), S.55

(7) Archiv Neesen, Hamburg

(8) de.wikipedia.org/wiki/Dehnungszeichen
(9) Lisch, F., Meklenburg und meklenburgisch, in: MJb 1 (1836), S.174